Deutlich über ein Jahr dauern in der Regel Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde. Das kann man auf den Seiten des Bundesverfassungsgerichts nachlesen. Es geht aber auch schneller. Eine Beschwerde gegen eine Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15.7.2015 ist schon am 25.11. beschieden worden. Wenn man die Beschwerdefrist von einem Monat zugrundelegt, wäre der Eingang Mitte August gewesen, die Verfahrensdauer also wenig mehr als ein viertel Jahr. Respekt! Es ging in dem Verfahren um die Beförderung einer Richterin beim Bundessozialgericht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Einen Internet-Link im Postpaket verschicken
Einen Internet-Link im Postpaket verschicken? Eine skurrile Idee? Ja, aber passiert. Solche Pakete haben wir vor ein paar Tagen erhalten. Und sogar doppelt.
Und das kam so:
Wahrer Luxus
Der Leitsatz einer aktuellen BGH Entscheidung eigentlich für Baurechtler.
Aber darum soll es hier nicht gehen. Der Sachverhalt ist etwas für Liebhaber von wahrem Luxus. Es geht um die Anlage eines japanischen Gartens auf einer Dachteraesse zu einem Preis von 110.000,- € und um einen Wasserfall, einen Tsukubai und einen Tan. Einfach lesen und staunen …
Schwarzer Peter spielen bei Gericht
{jcomments on}Mit Entscheidung von Ende April hat der Bundesgerichtshof ein Schwarzer Peter Spiel zwischen einem Amtsgericht, einem Sozialgericht und dem Kammergericht Berlin beendet. Es ging – nur – um die Ermittlung des für eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme zuständigen Gerichts. Die Akte ist mehrfach zwischen dem Amts- und dem Sozialgericht hin- und hergeschoben worden, das Kammergericht hat dem BGH vorgelegt und der hat jetzt entschieden. Das Amtsgericht ist zuständig und darf bzw. muss sich jetzt – endlich – um den Antrag kümmern, den der Gläubiger eigentlich hatte entschieden haben wollen.
„Kraft meiner Wassersuppe“ – BVerfG und BGH und deutsche Sprache
Eigentlich erwartet man von obersten deutschen Gerichten eine überzeugende Argumentation, die das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof in zwei aktuellen Fällen aber eher vermissen lassen und durch ihr eigenes Sprachverständnis ersetzen.
Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt der Bild-Zeitung untersagt, eine ehemalige Fürther Landrätin als „durchgeknallt“ zu bezeichnen. Vermutlich hatte der Zeitungsautor noch eine Entscheidung im Sinn, als dasselbe Gericht es durchgehen lies, das ein Staatsanwalt als „durchgeknallt“ bezeichnet wurde.
Das sei damals eine andere Situation gewesen, nämlich eine spontane Äußerung in einem Strafverfahren und kein zivilprozessuales Verfahren und damit nicht vergleichbar, meint das Gericht jetzt. Jedenfalls ist „durchgeknallt“ plötzlich eine ehrverletzende und nicht zu rechtfertigende Äußerung. Das erstaunt ob der Tatsache, dass diese Äußerung nur eine von mehreren ist, deren Kritikgehalt mindestens ebenso heftig scheint. Die aber zulässig sein sollen …
Das Gericht setzt sich nicht groß mit seiner eigenen ständigen Rechtsprechung auseinander, dass es nicht zulässig ist, eine von mehreren Äußerungen aus dem Zusammenhang zu reißen. Es reißt einfach selbst den Begriff aus dem Zusammenhang heraus und findet dann dazu seine Würdigung.
Auch eine sprachliche Auseinandersetzung findet nicht statt. „Durchgeknallt“ ist eben unzulässig und fertig. Ein kurzer Blick auf duden.de hätte die eher harmlose Bedeutung des Begriffes deutlich gemacht. Eine sorgfälitge Begründung sieht jedenfalls anders aus, als das Gericht sie jetzt gefunden hat.
Ähnlich „qualifiziert“ äußert sich jetzt der BGH in einer Entscheidung, die sich mit besonders an Kinder gerichteter Werbung auseinander setzen sollte. Eine Auseinandersetzung, die nach Meinung ihrer Kritiker misslungen ist. Es ging um folgende Aussagen:
„Pimp deinen Charakter-Woche (Überschrift)
Ist Dein Charakter bereit für kommende Abenteuer und entsprechend gerüstet?
Es warten tausende von Gefahren in der weiten Welt von Taborea auf Dich und
Deinen Charakter. Ohne die entsprechende Vorbereitung kann die nächste
Ecke im Dungeon der letzte Schritt gewesen sein.
Diese Woche hast Du erneut die Chance Deinen Charakter aufzumotzen!
Schnapp Dir die günstige Gelegenheit und verpasse Deiner Rüstung & Waffen
das gewisse ‚Etwas‘!
Von Montag, den 20. April 17:00 bis Freitag, den 24. April 17:00 hast du die
Chance,
Deinen Charakter aufzuwerten!“
enthält danach überwiegend „kindertypische“ Begriffe, womit das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Außer kindertypisch sollen nach dem Leitsatz noch das Duzen und gebräuchliche Anglizismen sein, was dann zur Untersagung des Satzes führt:
„Schnapp Dir die günstige Gelegenheit und verpasse Deiner Rüstung & Waffen das gewisse ‚Etwas‘“
Einen Anglizismus findet man in diesem Satz überhaupt nicht und auch sonst ist das wohl eher ein banaler Werbespruch als spezifische Kinderwerbung. Und wenn „Du“ und Anglizismen im Online – Bereich kindertypisch sind, dann wäre das halbe Internet kindertypisch. Das sieht eher nach „an der Realität vorbei“ aus als nach einem wohl begründeten Urteil.
OLG Hamm: Die Erde ist eine Scheibe
Mit einer derartigen Sachverhaltsfeststellung ist wohl in naher Zukunft zu rechnen. Immerhin hat es jetzt in einer Entscheidung diese völlig unsinnige Feststellung getroffen: „Wie das Amtsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, muss ein vierjähriges Kind in einem Kindersitz einigen Aufwand betreiben, um sich abzuschnallen.“
Der Arm eines Kindes wie im Alter der dort Vierjährigen reicht ziemlich genau am Kindersitz vorbei bis auf die Halterung, wo der Gurt eingeschnallt ist. Also Arm runter hängen lassen, ein lässiger Druck mit dem Daumen und ab ist der Gurt, Dauer maximal 2 Sekunden. Im Zweifel um ein Vielfaches schneller, als wenn ich mit meiner Hand und dicken Fingern die Schnalle irgendwo in der Spalte (wenn ich da überhaupt sofort hereinkomme) zwischen Kindersitz und Mittelkonsole treffen muss.
Die Entscheidung ist auch im übrigen in einer sehr üblen Weise kinder- und damit familienfeindlich: „In diesem Zusammenhang merkt der Senat ergänzend an, dass ein Kfz-Führer im Einzelfall sogar gehalten sein kann, seine Route derart zu wählen, dass er ausschließlich Straßen befährt, auf denen ein regelmäßiges Umsehen nach dem Kind und ein sofortiges Anhalten möglich ist (z.B. durch Meiden von Autobahnen oder Schnellstraßen). Ausnahmsweise kann er sogar gehalten sein, die ständige Kontrolle der Sicherung des beförderten Kindes durch Mitnahme einer Begleitperson zu gewährleisten.“ Eine völlig absurde Forderung.
Und auch im übrigen so weltfremd, wie man weltfremd nur sein kann: „Daneben war es im Falle des Betroffenen objektiv erforderlich und ihm auch zumutbar, während der (gesamten) Fahrt darauf zu achten, dass seine Tochter jederzeit gesichert war, insbesondere durch regelmäßiges Umsehen nach dem auf dem Rücksitz im Kindersitz befindlichen Kind.“ Um das sicherzustellen, bräuchte man vier Augen im Kopf, nämlich noch ein paar hinten (damit man beim Umdrehen wenigstens mit den hinteren Augen die Straße wieder im Blick hat).
Solchen Richtern ist alles zuzutrauen, jede völlig unsinnige Sachverhaltsfeststellung und – schlimmer noch – völlig unsinnige Rechtsanwendung.
Der Öko-Bürokratiewahn – die Teil-Nichtverfügbarkeitsbescheinigung
Es ist bekannterweise wohlfeil, über die Brüsseler Bürokratie zu schimpfen. Das LANUV in NRW gibt sich die größte Mühe mitzuhalten. Das kommt so:
Wenn ein Öko-Landwirt nicht ausreichend ökologisch erzeugte Legehennen-Küken einkaufen kann, darf er – entsprechende Genehmigung vorausgesetzt – den Bedarf durch nicht ökologisch erzeugte Küken decken (Art. 42). Aus diesen acht Zeilen der Durchführungsbestimmungen macht das LANUV NRW fünf Seiten Verfahrenshinweise und einen vierseitigen Antrag.
Dazu gibt es dann einen Bescheid, der auch eine – im übrigen zweiseitige – Teil-Nichtverfügbarkeitsbescheinigung sein kann …
Kein Wunder, dass Bio-Eier bei dem Verwaltungsaufwand teuer sein müssen.
Skurril: Unerwünschte Weihnachtsgrüsse an einen Arbeitsrichter
Gerade richtig zur Adventszeit veröffentlicht der Bundesgerichtshof eine Entscheidung in einer als skurril erscheinenden Angelegenheit eines Leipziger Arbeitsrichters.
Dieser hatte – wie wohl alle anderen im Dienst des Freistaats Sachsen Stehenden wortgleich – vom Ministerpräsidenten des Freistaats im Jahr 2009 einen Weihnachtsgruß erhalten.
In dem Gruß hieß es unter anderem:
„Wir haben die Wahlen auch deshalb gewonnen,
weil Sie in der Verwaltung unsere politischen Ideen
umsetzen.“„Ich danke Ihnen ganz persönlich für Ihren Anteil am
erfolgreichen Wahljahr 2009.“„Lassen Sie uns eine moderne (…) wirtschaftfreundliche Verwaltung schaffen.“
Diese Formulierung passten dem Richter nicht. Er sei vom Richterdienst in die Landesverwaltung versetzt worden. Der Dank für seinen Anteil im Wahljahr und die Aufforderung, eine wirtschaftsfreundliche Verwaltung zu schaffen, seien ein Eingriff in seine richterliche Unabhängigkeit.
Also erhob er erfolglos Widerspruch und Klage, die dann vom Richterdienstgericht in Leipzig als unzulässig zurückgewiesen wurde. Jetzt hat der Bundesgerichtshof diese Entscheidung aus formalen Gründen aufgehoben und nach Leipzig zurückverwiesen. Dort geht der skurrile Fall also in die nächste Runde …
1 1/2 Seiten für 5,8 Mio € oder 14 für 600,- €
Die Verfahrensordnungen erleichtern häufig bei bei letztinstanzlichen Entscheidungen, diese kurz halten zu können. Dann heißt es wie zum Beispiel in § 577 Abs. 6 Ziivilprozessordnung: „Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.“ In solchen Fällen darf dann „kurzer Prozess“ gemacht werden.
Die Realität lässt einen manchmal aber sprachlos zurück.
So umfasst die Begründung Zurückweisung einer Rechtsbeschwerde in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der Sache II ZB 6/12 14 1/2 Seiten (in Worten: vierzehneinhalb). Es ging um 600,- € (in Worten: sechshundert).
Wie aufwändig ist dann eine Begründung, in der es nicht um 600,- € sondern um 5,8 Mio. € geht? In der Sache IX ZR 77/13 vom 7. November 2013 gut 1 1/2 Seiten (in Worten: eineinhalb). Wie muss sich eine Partei fühlen, der gerade 5.800.000,- € in aller Kürze abgesprochen worden sind?
OLG Celle und BGH exekutieren die Menschenwürde
Aber es geht ja nur um einen Rechtsanwalt. Allerdings um einen Anwalt, der am Tag eines Ablaufs einer schon verlängerten Frist mit Verdacht auf Herzinfarkt in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Er hatte noch angeordnet, dass man bei Gericht um eine Verlängerung der Frist nachsucht. Das geschah auch.
Die ZPO regelt solche Fälle sogar in § 520 Abs. 2 ZPO:
Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.
Ist doch eigentlich klar- oder? Ohne Einwilligung wird bei erheblichen Gründen verlängert. Und gibt es einen erheblicheren Grund als einen (Verdacht auf) Herzinfarkt? Für das OLG Celle und den BGH ja. Erhebliche Gründe können danach – obwohl das so nicht im Gesetz steht – nur dann berücksichtigt werden, wenn man zuvor versucht hat, die Einwilligung des Gegners einzuholen. Ist ja auch praktisch für die Richter, dann hat man selbst den Aufwand gespart zu prüfen, ob etwas erheblich ist oder nicht. So steht es zwar nicht im Gesetz, aber so ist es leider laufende BGH Praxis.
Wenn man dann als Anwalt erlebt, welche Kinkerlitzchen Gerichte dazu bewegen können, Termine aufzuheben (Fristen haben die so gut wie keine), dann ist einfach nur widerlich, wie manche Gerichte mit der Menschenwürde von Rechtsanwälten umgehen.
Nachtrag vom 9.1.2014:
In einer heute vom BGH im Internet veröffentlichten Entscheidung hat der 2. Senat des BGH (die oben genannte Entscheidung stammt vom 5. Senat) mehr Verständnis für einen erkrankten Anwalt gezeigt. Und in dem neuen Fall, war die Erkrankung nicht einmal wie oben lebensbedrohlich: „Er musste sich mehrfach übergeben und litt unter einem Schwindelgefühl, so dass er sich nicht in der Lage sah, in sein Büro zu fahren. Es liegen keine Umstände vor, die die kurzfristige Einschaltung eines Vertreters möglich oder zumutbar erscheinen lassen.“
Da kommt Hoffnung auf, dass es vielleicht in solchen Fragen doch einmal eine Art Waffengleichheit zwischen Anwälten und Richtern gibt. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Fall anders als das OLG Dresden zuvor eine Wiedereinsetzung gewährt.