Höherer Krankenversicherungsbeitrag für Rentner rechtens

Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Mehrbelastung von Rentnern durch die Gesundheitsreform 2005 höchstrichterlich abgesegnet.

Es verstoße nicht gegen die Verfassung, dass Rentner wie alle gesetzlich Versicherten seit dem 1. Juli 2005 mehr als die Hälfte ihrer Krankenversicherungsbeiträge allein tragen müssen, befanden die Kasseler Bundesrichter am Mittwoch.

Der zusätzliche Beitrag in Höhe von 0,45 Prozent der Rente sei eine „gerechtfertigte Belastung“. Dies spare der Rentenversicherung rund 900 Millionen Euro pro Jahr, die sonst über höhere Rentenbeiträge von Arbeitnehmern und Unternehmen aufgebracht werden müssten (Az.: B 12 R 21/06 R).

Mit den zum 1. Juli 2005 in Kraft getretenen „Gesundheitsmodernisierungsgesetz“ hatte die Bundesregierung erstmals das Prinzip der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgegeben. Die Beiträge werden seitdem nicht mehr zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Beschäftigten beziehungsweise Rentenkasse und Rentnern aufgebracht. Die Mehrbelastung der Versicherten um 0,45 Prozentpunkte sollte die Sozialabgaben für Unternehmen senken.

Gegen das Gesetz hatte ein 66-jähriger Rentner aus Schwaben geklagt. Er sah darin einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. Denn im Zuge der Reformdebatte war zunächst vorgeschlagen worden, dass der zusätzliche Krankenversicherungsbeitrag zur Finanzierung von Zahnersatz und Krankengeld dienen solle. Krankengeld können Rentner jedoch nicht beziehen. 

Wie das BSG nun klar stellte, wurde bei der Verabschiedung des Gesetzes kein konkreter Verwendungszweck für den Zusatzbeitrag festgeschrieben.

 

Quelle: http://www.aerzteblatt.de

Autovermieter muß ggf. über Unfalltarif aufklären

Bietet der Vermieter dem Unfallgeschädigten einen Tarif an, der deutlich über dem Normaltarif auf dem örtlich relevanten Markt liegt, und besteht deshalb die Gefahr, dass die Haftpflichtversicherung nicht den vollen Tarif übernimmt, so muss er den Mieter darüber aufklären. Danach ist es erforderlich, aber auch ausreichend, den Mieter unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung den angebotenen Tarif möglicherweise nicht in vollem Umfang erstattet.

BGH Urteil vom 27. Juni 2007, Az. XII ZR 53/05; Die Entscheidung kann auf den Seiten des BGH im Volltext (pdf) nachgelesen werden.

 

 

Verjährungsunterbrechung durch Durchsuchungsbeschluss

Ein Durchsuchungsbeschluss, der nur allgmein gegen "Verantwortliche im Verkauf, Kalkulation und Akquisation" ergangen ist, unterbricht die Verjährung gegen den Täter nur dann, wenn sich aus den Ermittlungsakten ergibt, dass der Täter zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war und sich die Durchsuchung auch gegen ihn richten sollte.

BGH, Beschluss vom 06. März 2007, KRB 1/07 Die Entscheidung kann im Volltext auf den Seiten des Bundesgerichtshofes nachglesen werden.

Führerscheinrichtlinie und Knöllchenbeschluss

Freie Fahrt durch ein freies Europa? – 3. Führerscheinrichtlinie soll Führerscheintourismus den Riegel vorschieben

Die gegenseitige Anerkennung von Führerscheinen innerhalb der EU hat in der Vergangenheit mehrfach dazu geführt, dass durch die Erlangung einer z.Bsp. tschechischen Fahrerlaubnis das Erfordernis der Vorweisung einer erfolgreich abgelegten MPU in Deutschland zur Wiedererteilung umgangen werden konnte. Der Europäische Gerichtshof hatte in den Entscheidungen vom 29.04.2004 C-476/01 -Kapper- (NJW 2004,1725) und vom 06.04.2006 C-227/05 -Halbritter- (zfs 2006,416) hierzu Grundsätze aufgestellt, die die Anerkennung eines nationalen Führerscheins in jedem anderen EU-Mitgliedsaat erleichtern, dem Rechtsmissbrauch (Umgehung nationaler Sicherheitsvorschriften) jedoch nicht genügend Einhalt geboten. So bestand für die deutschen Verwaltungsbehörden auf dieser Grundlage keinerlei Möglichkeit den im Ausland erteilten Führerschein wieder zu entziehen, wenn der Führerscheininhaber weder das Wohnsitzerfordernis im anderen Mitgliedstaat erfüllte noch seine Eignung zum Führen eines Kfz nach den nationalen Vorschriften  nachgewiesen hatte. Dafür waren die Behörden des den Führerschein ausstellenden Mitgliedstaates zuständig. Wie bekannt wurde regierten jedoch z.Bsp. tschechische Behörden auf derartige Ersuchen der deutschen Behörden schlichtweg nicht. Innerhalb der deutschen Verwaltungsrechtsprechung bestand Einigkeit darin, dass es in solchen “Umgehungstatbeständen” möglich sein muss, dass der Führerschein in Deutschland ohne die Mithilfe der ausländischen Behörden entzogen werden kann. Die Umgehung nationaler Sicherheitsvorschriften könne nicht Sinn und Zweck des Gemeinschaftsrechtes sein und ein Führerscheinanwärter, der sich nach einer Entziehung um die MPU “herummogeln” möchte, dürfe sich nicht auf das Gemeinschaftsrecht berufen können (VGH Baden-Württemberg v. 21.07.2006 zfs 2006,596; OVG NRW v. 13.09.2006 – 16 B 989/06; OVG Thüringen v. 29.06.2006 DAR 2006,583; OVG Mecklenburg Vorpommern v. 29.08.2006 1 M 46/06; VG Chemnitz v. 17.07.2006 DAR 2006,637 – Vorlage an den EuGH). Diese Auffassung soll jetzt durch die dritte Führerscheinrichtlinie in die Praxis umgesetzt werden. Die Richtlinie wurde vom Europäschen Parlament Ende 2006 verabschiedet uns soll im Laufe diesen Jahres in deutsches Recht umgesetzt werden. Auf der Grundlage dieser Richtlinie soll es den Mitgliedstaaten zukünftig verboten sein, einen Führerschein für jemanden auszustellen, dessen Fahrerlaubnis im Heimatland eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen war. Ebenso müssen solche Führerscheine durch die Mitgliedstaaten nicht mehr anerkannt werden (Zypries, NJW 2007, S. 1424ff).

Das Bundesjustizministerium arbeitet momentan ebenfalls an der Umsetzung des sog. “Knöllchenbeschlusses” (Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24.02.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldbußen und Geldstrafen, ABlEG L 76 v. 22.03.2005 S. 16). Dieser Rahmenbeschluss hat das Ziel, dass Geldstrafen und Geldbußen oberhalb der Bagatellgrenze von 70 €, die in einem Mitgliedstaat verhängt werden, von jedem anderen Mitgliedstaat anerkannt und vollstreckt werden müssen. Das in der Entwicklung befindliche Europäische Geldsanktionengesetz soll diese länderübergreifende Vollstreckung sichern, dem Beschuldigten aber auch einen effektiven Rechtsschutz gewähren. So wurde auf deutsches Betreiben ein Vorbehalt in den Rahmenbeschluss aufgenommen, dass ein Mitgliedstaat die Vollstreckung verweigern darf, wenn durch das Vollstreckungsverfahren die Grundrechte des Beschuldigten oder allgemeine Rechtsgrundsätze verletzt werden würden (Zypries,NJW 2007,1427).

Weitere Fragen rund um Führerschein, MPU, Punktesystem und Verkehrsrecht allgemein beantworten Ihnen die Anwälte und Mitarbeiter unserer Kanzlei auch in diesem Jahr gern im Rahmen der Roadshow der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (hier der Bericht aus dem Vorjahr ) am 20.08.2007 in Dresden sowie am 21.09.2007 in Chemnitz. Der Service umfasst ebenfalls eine kostenlose Rechtsberatung bezüglich Ihres aktuellen Problems z. Bsp. nach einem Verkehrsunfall oder für den Fall, dass gegen Sie ein Bußgeldverfahren eingeleitet wurde. Der Truck der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht und unsere Kanzlei erwarten sie in Dresden auf dem Gelände des Autohaus A. Fugel Hamburger Straße 69 – 73 und in Chemnitz auf dem Parkplatz der Autohaus Chemnitz GmbH, Neefestraße 127/129 jeweils in der Zeit von 9 bis 18 Uhr.

 

 

 

 

 

Aufklärungspflicht bei Einsatz eines Medikaments vor erstem Einsatz

 
Ergeben sich beim Einsatz eines Medikaments für den Patienten andere Risiken als bei der bisherigen Medikation, ist der Patient bereits vor dessen erstem Einsatz entsprechend aufzuklären. Nur so wird das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in ausreichender Weise gewahrt.

Ist nicht auszuschließen, dass sich der Patient unter Berücksichtigung des zu behandelnden Leidens und der Risiken, über die aufzuklären war, aus vielleicht nicht gerade "vernünftigen", jedenfalls aber nachvollziehbaren Gründen für eine Ablehnung der Behandlung entschieden haben könnte, kommt ein echter Entscheidungskonflikt in Betracht. In einem solchen Fall darf der Tatrichter nicht alleine aufgrund der Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung (hier: wegen schwerer Hirnschäden) eine dem Patienten nachteilige Wertung vornehmen.

amtlicher Leitsatz:

a) Der Arzt hat den Patienten vor dem ersten Einsatz eines Medikaments, dessen Wirksamkeit in der konkreten Behandlungssituation zunächst erprobt werden soll, über dessen Risiken vollständig aufzuklären, damit der Patient entscheiden kann, ob er in die Erprobung überhaupt einwilligen oder ob er wegen der möglichen Nebenwirkungen darauf verzichten will.
b) Kann ein Patient zu der Frage, ob er bei zutreffender ärztlicher Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, nicht persönlich angehört werden (hier: wegen schwerer Hirnschäden), so hat das Gericht aufgrund einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob der Patient aus nachvollziehbaren Gründen in einen ernsthaften Entscheidungskonflikt geraten sein könnte.

BGH
Urteil vom 17. April 2007
VI ZR 108/06

 

Die vollständige Entscheidung können Sie auf den Seiten des Bundesgerichtshofs nachlesen. 

Vertragsarztrechtsänderungsgesetz: Kassenärztliche Bundesvereinigung hilft bei offenen Fragen

 

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) möchte bei offenen Fragen zur Umsetzung des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) weiterhelfen. Unter www.kbv.de/rechtsquellen/2310html finden Interessierte den Bundesmantelvertrag, unter www.kbv.de/10747.html die Richtlinie der KBV über die Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung bei einer den Bereich einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) übergreifenden Berufsausübung.

Beide treten zum 1. Juli in Kraft.

Der Bundesmantelvertrag legt in § 14a (1) fest, dass ein Vertragsarzt künftig bis zu drei teilzeit- oder vollzeitbeschäftigte Ärzte anstellen kann. Erbringt er überwiegend medizinisch-technische Leistungen, sind vier erlaubt, im Falle eines gut begründeten Antrags mehr. Im VÄndG ist festgeschrieben, dass die bisherige Regelung gelockert wird. Bislang waren die Anstellung eines Arztes in Vollzeit oder zweier Ärzte halbtags möglich. Der Bundesmantelvertrag definiert unter anderem die wesentlichen im VÄndG eingeführten Begriffe. 

Die Richtlinie zur KV-übergreifenden Berufsausübung klärt beispielsweise Fragen der Abrechnung, Honorarbescheide, Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Qualitätssicherung im Falle einer vertragsärztlichen Tätigkeit in mehreren KV-Regionen.

Neben den beiden untergesetzlichen Normen werden zum 1. Juli aufgrund des VÄndG außerdem Regelungen zur Qualitätssicherung und zur Vergütung in Kraft treten. Die Bedarfsplanungsrichtlinien sind bereits zum 1. April angepasst worden. Am 1. Januar 2008 treten außerdem noch eine Richtlinie zur Vergabe der Arztnummer, weitere Regelungen zur Vergütung, Richtlinien zur Wirtschaftlichkeits- und zur Abrechnungsprüfung sowie zum Datenträgeraustausch in Kraft. 

Der Bundesmantelvertrag auf der KBV-Webseite befindet sich zurzeit noch im Unterschriftsverfahren.

Quelle: www.aerzteblatt.de

Verfestigung der Definition des ausschlussrelevanten Mangels der Angebote einer Ausschreibung

In der Entscheidung der Vergabekammer Sachsen vom 24.05.2007 hat die Vergabekammer erneut dargelegt, dass die durch den BGH in seiner Entscheidung vom 26.09.2006 angegebenen Kriterien des "gleichwertigen Mangels" in den Wertungsstufen zu finden sind. Bereits in den Entscheidungen vom 13.04.2006 sowie vom 09.11.2006 und vom 03.01.2007 stellte die Vergabekammer Sachsen fest, dass ein Mangel dann gleichwertig sei, wenn das Angebot des Bietes auf der gleichen Wertungsstufe auszuschließen ist.

In die Reihe dieser Entscheidung fügt sich auch die Entscheidung der Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 17.04.2007 (1 VKLVwA 04/07) ein. Auch in dieser wird die Gleichwertigkeit des Mangels dann angenommen, wenn die Angebote sämtlicher konkurrierender Bieter auf der gleichen oder auf einer früheren Wertungsstufe auszuschließen sind.

Darüber hinaus befasst sich die aktuelle Entscheidung der Vergabekammer Sachsen vom 24.05.2007 mit der Markierung der wesentlichen Teile der Angebote bzw. sieht ein auch nur teilweises Unterlassen als Verstoß gegen § 22 Nr. 3 VOL/A an.

Leitsatz:

§ 22 Nr. 3 lit. b) S. 2 VOL/A fordert, dass die Angebote nach Öffnung üblicherweise durch Datierung und Lochung in allen wesentlichen Teilen einschließlich der Anlagen gekennzeichnet werden. Dies soll verhindern, dass nachträglich einzelne Bestandteile der Angebote ausgetauscht oder entfernt und damit die Angebote manipuliert werden Die im Sinne vom § 22 VOL/A unterlassene Kennzeichnung der vorgelegten Angebote stellt einen gravierenden Vergaberechtsverstoß dar, der objektiv selbst durch eine Rückversetzung des Vergabeverfahrens auf den Zeitpunkt der Angebotseröffnung ein rechtmäßiges Vergabeverfahren nicht mehr erwarten lässt, denn damit können die entsprechend § 22 Nr. 3 VOL/A erforderlichen Feststellungen durch den Auftraggeber nicht mehr zweifelsfrei getroffen werden.

Nach § 22 Nr. 6 Abs. 1 S. 1 VOL/A sind die Angebote und ihre Anlagen sorgfältig zu verwahren und vertraulich zu behandeln. Es liegt diesbezüglich ein schwerwiegender Vergaberechtsverstoß vor, wenn ein mit der Projektsteuerung beauftragter Externer die Angebote in die Betriebsräume eines Unternehmens verbringt, für das er hauptberuflich tätig ist und das im Rahmen einer Konzernbeteiligung als potentieller Lieferant für die von den Bietern angebotenen Leistungen in Betracht kommt. Dies gilt insbesondere dann, wenn es dem Auftraggeber mangels gefertigter Kopien auch gar nicht mehr möglich ist, festzustellen, ob die vorliegenden Angebote tatsächlich den abgegebenen Angeboten entsprechen.

Entscheidung: 

1. Vergabekammer des
Freistaates Sachsen    
beim Regierungspräsidium Leipzig
1/SVK/029-07

Beschluss

In dem Vergabenachprüfungsverfahren

Betreffend die Ausschreibung des xxxxx,  Ausstattung von 12 Schulen und der Kreismedienstellen im Landkreis xxxxx mit IuK-Technik

1. Bietergemeinschaft BB GmbH/ AA GmbH, bestehend aus

a)    AA GmbH,  vertreten durch die Geschäftsführung und

b)    BB GmbH,  vertreten durch die Geschäftsführung,

Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxxxxxx,

-Antragstellerin-

2. Landkreis xxxx,   vertreten durch den Landrat

Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxxxx,

-Auftraggeber-

3. xxxxx GmbH,  vertreten durch die Geschäftsführung

Verfahrensbevollmächtigte:    xxxxxxxxx                                                                                                                 -Beigeladene-
hat die 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen nach mündlicher Verhandlung am 14.05.2007 durch die Vorsitzende, Frau Kadenbach, den hauptamtlichen Beisitzer, Herrn Kühne, und den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Prof. Dr. Dammert, am 24.05.2007 beschlossen:

1. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist.

2. Dem Auftraggeber wird aufgegeben, das Vergabeverfahren aufzuheben.

3. Der Auftraggeber trägt die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Die Verfahrensgebühr wird auf xxx € festgesetzt. Der Auftraggeber ist jedoch von der Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühr befreit.

4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

I.

Mit europaweiter Vorinformation vom 31.10.2006 und Vergabebekanntmachung vom 16.01.2007 schrieb der Auftraggeber das Vorhaben Ausstattung von 12 Schulen und der Kreismedienstellen im Landkreis xxxx mit IuK-Technik europaweit im offenen Verfahren aus.

In der Vergabebekanntmachung war gemäß Ziffer III.2.1) u. a. gefordert: "Persönliche Lage des Wirtschaftsteilnehmers sowie Auflagen hinsichtlich der Eintragung in einem Berufs- oder Handelsregister": Angaben und Formalitäten, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen: – -Auszug aus dem Gewerbezentralregister, nicht älter als 3 Monate oder die gültige Eintragungsbescheinigung in das Unternehmer- und Lieferanten-Verzeichnis (ULV) der Auftragsberatungsstelle Sachsen,

unter Ziffer III.2.2) u. a. gefordert: "Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit": – Angaben – zum Gesamtumsatz des Unternehmens sowie
– zum Umsatz für vergleichbare Leistungen, die Gegenstand der Ausschreibung sind
jeweils in den letzten 3 Geschäftsjahren.
Angaben, aus denen das jährliche Mittel der vom Leistungserbringer in den letzten 3 Geschäftsjahren Beschäftigten und die Anzahl der leitenden Angestellten ersichtlich ist.

Die Mitglieder der Antragstellerin, jeweils getrennt, und die Beigeladene forderten die Verdingungsunterlagen ab. Im Zeitraum vom 29.01.2007 bis 02.02.2007 fanden Vor-Ort-Besichtungen der betroffenen Schulen und der Kreismedienstelle statt, an denen die Mitglieder der Antragstellerin und die Beigeladene teilnahmen.
Am 08.02.2007 wandte sich das Mitglied der antragstellenden Bietergemeinschaft zu a. (im Folgenden nur AA GmbH genannt) telefonisch an den Auftraggeber und stellte dar, dass die Verbindung zwischen dem CCC e.V.xxxxxx, Sx und der Beigeladenen darauf schließen ließen, dass die Beigeladene den Zuschlag erhalten solle.

In einem als Rüge bezeichneten Schreiben vom 09.02.2007 teilte die AA GmbH dem Auftraggeber mit, das Beratungsunternehmen CCC sei nicht neutral. Es bestünde eine enge Kooperation mit Sxxxxx und FSxxxx . Auch Herr xxxx, der im Vergabeverfahren mitwirke, sei als ehemaliger Mitarbeiter von FSYY bekannt, und die Beratertätigkeit als solche sei unzulässig. Weiter wurde moniert, der Zeitrahmen zur Abgabe eines Angebotes zu kurz sei. die Leistungsbeschreibung sei unvollständig und unklar. Dem Bieter würden unzumutbare Wagnisse aufgebürdet, da umfangreiche Planungsleistungen zu erbringen seien. Darüber hinaus habe der Bieter einen Wartungsvertrag auszuarbeiten. Die Freizeichnungsklauseln in den Verdingungsunterlagen und die Bestätigung zur Objektbesichtigung seien unzulässig. Es sei nicht ersichtlich, ob ein dezentrales oder zentrales Serverkonzept verlangt werde. Die Leistung sei überdimensioniert, da mit dem Leistungsumfang auch ein Internetserviceprovider ausgestattet werden könnte. Es läge keine Bieterprodukt- und Herstellerneutralität vor. Die Produkte könnten nur auf Basis von FSxxxxx im Hinblick auf Rechner, Monitore, Notebooks, Notebookwagen und Server angeboten werden. Das ergebe sich daraus, dass die Gehäuse- und Produktabmaße festgelegt worden seien und ein Zertifikat HCL für Vista verlangt werde. Es wurde darauf hingewiesen, dass xxx 10 % Rabatt bei FSYY wegen enger Kooperation erhalte. Nur globale OEM-Hersteller wie FSYY böten Vista-zertifizierte Rechner an. Die KO-Bedingungen unter E 2.2.1.4 der Leistungsbeschreibung (Rechnerlautstärke 23 Dezibel) reduziere die Auswahl auf SXXrechner und die KO-Bedingungen unter E 2.3.5 nach einem geschalteten Monitorausgang im Netzteil in Kombination mit Punkt A und B ebenfalls die Auswahl auf nur einen Rechner von FSYY. Die aktiven Netzwerkkomponenten in der Ausschreibung seien durch Bedingungen wie "die Erweiterung auf 120 Accesspoint müsse ohne Adlerausstattung möglich sein" festgelegt.

Mit Schreiben vom 13.02.2007 nahm der Auftraggeber Stellung zur Rüge der Antragstellerin. Die Frist zur Abgabe eines Angebotes gemäß § 18a Nr. 1 Abs. 2 VOL/A sei eingehalten, da nach § 17 a Nr. 3 Abs. 2 VOL/A eine Vorinformation ergangen sei. Letztlich sei bereits mit Schreiben vom 30.01.2007 die ursprüngliche vorgesehene Angebotsfrist um 4 Tage verlängert worden. Das Durchführen von Vorortbesichtigungen sei bei solchen Beschaffungen üblich. Raumpläne seien für alle Schulen übergeben worden. Die Leistungsbeschreibung sei umfassend gewesen. Planungsleistungen seien nicht gefordert. Das Einreichen eines Wartungskonzeptes sei üblich. Die Ausschreibung sei produktneutral. Der Punkt Gehäusemaße sei ein bewertetes Kriterium mit der Vorgabe von Maximalabmessungen, welche Anforderungen und Gegebenheiten der Schule zu beachten seien. Die beschriebenen Notebookwagen könnten durch mehrere Hersteller geliefert werden. In der HCL für Vista fände sich eine Vielzahl von Herstellern wieder. Auf Grund von Technologien, die am Markt existierten, sei eine Geräuschentwicklung von 23 Dezibel zu realisieren. Geschaltete Netzteile hätten sich in der Praxis bewährt. Sie schalteten zum einen den Rechner sowie den daran angeschlossenen Monitor ab. Der Standby-Effekt für die Geräte trete dabei nicht auf. Des Weiteren sei eine mögliche Erweiterung der W-Lan-Kontrolle gefordert worden. Alle namhaften Hersteller böten Geräte an, die mehr als 20 Arbeitsplätze verwalten könnten. Das CCC unterstütze lediglich den Auftraggeber, ein Interessenkonflikt liege nicht vor. Die Wertungskriterien seien in Punkt 1.6 der Verdingungsunterlagen eindeutig und für jeden nachvollziehbar beschrieben worden. Die geforderten Versicherungssummen seien entsprechend dieses beschriebenen Auftragsvolumens gestaltet worden.

Hierauf wiederholte die AA GmbH wesentliche Teile ihrer Rüge mit Schreiben vom 14.02.2007 und vertiefte die bisherigen Ausführungen. Die Angebotsfrist sei zu kurz bemessen, auf Grund der erforderlichen Ortsbesichtigung sei die Angebotsfrist entsprechend zu verlängern. Die vorgelegten Raumpläne enthielten keine Abmaßungen, lediglich die Raumflächen seien in den Plänen dargestellt. Im Hinblick auf die Anforderungen der Leistungsbeschreibung werde um die Übersendung des Fördermittelbescheides und die sonstigen Auflagen des Zuwendungsgebers gebeten. Die Ausschreibung sei nicht produktneutral. Dass Hersteller- und Typangaben mit Punkten bewertet werden sollten (Beispiel Punkt D.2.6.2.) sei nicht von § 8 VOL/A gedeckt. Die Beteiligung des CCC als offensichtlich beratendes Unrnehmen stelle einen Verstoß gegen § 6 VOL/A, § 16 VgV dar. Dieser Verein stehe in enger Verbindung zu FSYY. Die Wertungsmatrix im Hinblick auf das Gewichtungsverhältnis und die Punkte sei nicht nachvollziehbar beschrieben. Die erneute Klärung zu den Fragetypen und Antworttypen sei im Übrigen verwirrend. Im Hinblick auf Versicherungssummen/Deckungssummen werde gerügt, dass erstmals mit Übersendung der Verdingungsunterlagen auf das Erfordernis der entsprechenden Versicherung hingewiesen worden sei und damit die Bieter mit unangemessenen Kosten belastet werden würden. Die Forderung nach einer erweiterten Haftpflichtversicherung, die nicht in der Vergabebekanntmachung genannt worden sei, benachteilige die Bieter.

Mit Schreiben vom 15.02.2007 wandte sich der Auftraggeber an die AA GmbH und teilte mit: "Nach Prüfung der aufgeführten Sachverhalte möchten wir Ihnen mitteilen, dass aus unserer Sicht mit Schreiben vom 13.03.2007 ausführlich Stellung genommen wurde und keine weiteren Ausführungen erfolgen."

Die Antragstellerin, nunmehr als Bietergemeinschaft der beteiligten Mitglieder, gab fristgerecht ein Angebot ab.

Mit Schreiben vom 28.03.2007 teilte der Auftraggeber nach § 13 VgV der AA GmbH mit, dass sie den Zuschlag nicht erhalten werde, sondern der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden solle.

Mit Schreiben vom 30.03.2007 rügte die AA GmbH im Namen der Antrag stellenden Bietergemeinschaft die Wertungsentscheidung. Die Wertung entspreche nicht den in den Verdingungsunterlagen genannten Vorgaben, wonach der Preis zu 65 % und die Funktionalität zu 35 % in die Wertung einfließen sollten. Da die Wertung im Verhältnis zu den Maximalpunktzahlen zueinander dargestellt werden sollte, habe bereits die AA GmbH die Fehlerhaftigkeit des Verfahrens entsprechend gerügt. Nunmehr stelle sich jedoch raus, dass nicht nur im Verhältnis der maximal zu vergebenden Punktzahlen die bekannt gegebene Gewichtung zu Grunde gelegt werde, sondern vielmehr auch die verteilten Preis- und Leistungspunkte nicht vollständig, sondern nach dem angegebenen Gewichtungsverhältnis berücksichtigt worden seien. Daher fließe die bewertete Funktionalität zu einem weitaus geringeren Gewichtungssatz in die Gesamtbewertung ein. Darüber hinaus sei die Verteilung der Punkte nicht nachvollziehbar. Der Pauschalabzug von 500 Punkten bei der Preisbewertung, ungeachtet der tatsächlichen Differenz zwischen Angebotspreisen habe ein wettbewerbsverfälschendes Ergebnis zur Folge. Das Angebot der Beigeladenen sei auszuschließen, da nicht alle Eignungsnachweise vorlägen. Im Übrigen enthalte das Angebot der Beigeladenen nicht die geforderten Notebookwagen, was ein KO-Kriterium darstelle. Das Angebot der Beigeladenen sei wegen wettbewerbswidriger Verhaltensweisen zwingend auszuschließen. Der vorliegend als Projektsteuerer tätige CCC sei keine unabhängige Beratungseinrichtung, sondern ein von FSYY kontrolliertes und unterstützendes Beratungsunternehmen, insbesondere da die Rechnungslegung gegenüber diesem Verein erfolgen solle. Weiterhin sei wettbewerbswidrig, dass auf Grund der Vorgaben, von den Bereichen Installation und Service ein ortsnaher Unternehmensstandort nachzuweisen sei und die Antragstellerin zunächst beabsichtigt habe, die xxxxx GmbH xxxx als Serviceberatung zu beauftragen. Einen Tag vor Ablauf der Angebotsfrist sei jedoch mitgeteilt worden, dass eine Zusammenarbeit dieses Unternehmens nunmehr mit der Beigeladenen stattfinde. Damit habe die Beigeladene den Wettbewerb eingeschränkt.

Mit Schreiben vom 03.04.2007 erläuterte der Auftraggeber gegenüber der Antragstellerin die Wertung und die Punktegewichtung. Auch wenn der Hinweis richtig sei, dass die prozentuale Gewichtung doppelt eingegangen sei, ändere dies nichts am Gesamtergebnis, nur die Verhältnismäßigkeit der Ergebnisse verschiebe sich. Die Abstufung der Preisbewertung führe hinsichtlich des Angebots der Antragstellerin sogar dazu, dass sie letztlich bessergestellt werde, als wenn es zu einer Verhältnisbewertung gekommen wäre. Sowohl hinsichtlich des Preises, als auch hinsichtlich der Funktionalität sei das Angebot der Beigeladenen vorzugswürdig. Das Angebot der Beigeladenen habe die notwendigen Voraussetzungen, um den Zuschlag erhalten zu können. Es seien die geforderten Notebookwagen angeboten worden. Es sei nicht erkennbar, warum die Durchführung einer Beratung durch den CCC zu einem Ausschluss der Beigeladenen führen würde. Es erschließe sich auch nicht, warum die Zusammenarbeit der xxxx GmbH mit der Beigeladenen wettbewerbswidrig sei. Ein entsprechender Vorortservice für Produkte diverser Hersteller, so auch die von FSYY sei allein mit dem Verweis auf die vielen anderen ansässigen bzw. präsenten Unternehmen in und um Leipzig möglich.

Mit Schreiben vom 05.04.2007 vertiefte die Antragstellerin ihre Begründung hinsichtlich der Wertung. Man habe hinsichtlich der Beigeladenen keinen Adress- oder Telefoneintrag unter der genannten Adresse in Leipzig finden können, zudem werde die Fehlerhaftigkeit der Mitteilung nach § 13 VgV gerügt.

Mit Schreiben vom 05.04.2007 stellte die Antragstellerin durch ihren Verfahrensbevollmächtigten Antrag auf Vergabenachprüfung bei der zuständigen Vergabekammer. Sie beantragte u.a.:
zu 1. dem Auftraggeber zu untersagen, einen Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen,
zu 3. den Auftraggeber zu verpflichten, das Vergabeverfahren nach Rechtsauffassung der Vergabekammer unter Ausschluss des Angebots der Beigeladenen, sowie dem CCC. einschließlich der unmittelbar oder mittelbar für den vorgenannten Verein tätigen Personen durchzuführen und die Angebote zu werten.
Sie legte dar, das Angebot der Beigeladenen sei auszuschließen. Auf Grund der Vorbefassung im Mediosprojekt, sei im Sinne des § 4 Abs. 5 VgV der Wettbewerb durch die Teilnahme der Beigeladenen verfälscht worden. Auf Grund der rechtswidrig kurzen Angebotsfrist sei für die Beigeladene ein zulässiger Wettbewerbsvorteil verschafft worden. Im Übrigen seien auf Grund der langjährigen exklusiven Zusammenarbeit zwischen der Beigeladenen und dem Hersteller FSX  beide Unternehmen im Zusammenhang mit dem Mediosprojekt darauf eingerichtet, den Beschaffungsmarkt durch Mitwirkung und Ausgestaltung der Vergabeverfahren auf Auftragnehmer- sowie auf Auftraggeberseite gegebenenfalls unter Einsatz solcher Einrichtung, wie des CCC zu gestalten. Des Weiteren sei das Angebot der Beigeladenen mangels Erfüllung der Mindestkriterien auszuschließen. Die geforderten Notebookwagen seien derzeit am Markt nicht erhältlich. Ferner sei unklar, ob die geforderte Nachunternehmerliste vollständig sei.

Mit Schriftsatz vom 26.04.2007 trat der Auftraggeber dem Antrag entgegen und beantragte u.a. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Hinsichtlich der monierten Angebotsfrist teilte er mit, dass die Antragstellerin bereits am 26.01.2007 über die Verdingungsunterlagen verfügt habe und zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Bearbeitung des Angebots beginnen konnte. Zu dem sei am 31.10.2006 eine Vorinformation über die spätere verbindliche Ausschreibungsbekanntmachung vom 16.01.2007 erfolgt. Hinsichtlich des abgesprungenen Nachunternehmers sei anerkannt, dass beliebige Formen exklusiver Liefer- und Serviceverträge geschlossen werden könnten und dürften. Die Rüge vom 09.02.2007 sei nicht unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB erfolgt. Der letzte Vor-Ort-Termin habe am Freitag, dem 02.02.2007, stattgefunden. Demnach sei ein Beanstandungsschreiben erst eine Woche später, also am Freitag, dem 09.02.2007, nicht mehr unverzüglich. Die Telefax-Zusendung sei erst am Freitagabend, 21.05 Uhr, zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem der Auftraggeber nicht mehr im Büro anwesend gewesen sei, weshalb von einem Zugang der Rüge am Montag, dem 12.02.2007 auszugehen sei, was ein Rügezeitraum von 10 Tagen bedeute. Hieran ändere auch das Telefonat der Antragstellerin mit der Mitarbeiterin des Auftraggebers, Frau xxxx, vom 08.02.2007 nichts. Dieses Telefongespräch sei inhaltlich keine Rüge im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gewesen. Des Weiteren sei die Rüge nicht im Namen der Antragstellerin erfolgt. Die Antragstellerin sei eine Bietergemeinschaft. Die Rüge sei am 09.02.2007 ausschließlich durch die AA GmbH erhoben worden. In diesem Zusammenhang helfe auch die nachgeschobene Mitteilung der AA GmbH vom 30.03.2007 nicht, womit erstmals die Bietergemeinschaft sich die damaligen Beanstandungen zu Eigen mache.

Das Rügeschreiben vom 13.02.2007 enthalte substanziell nichts Neues. Die Rüge vom 30.03.2007 sei im Übrigen dadurch zu spät, dass das Absageschreiben nach § 13 VgV auf den 28.03.2007 datiere und die Rüge vom 30.03.2007 erst per Telefax um 15.59 Uhr abgesendet worden sei. Das Rechtschutzziel sei unklar, da sich die Antragstellerin im Hinblick auf Ihren Vortrag widersprüchlich verhalte. Die Zeit zur Angebotserstellung sei angemessen gewesen. Wer sich aus dem nach § 18 a Nr. 1 Abs. 1 lit. a VOL/A einzuhaltenden Fristabstand von mindestens 52 Tagen vom Datum der Vorabinformation (31.10.2006) bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die spätere verbindliche Bekanntmachung in einem offenen Verfahren erfolgt sei (12.01.2007), ergebe, sei die Frist sichtlich eingehalten. Demzufolge habe der Auftraggeber von der Fristverkürzung des § 18 Nr. 1 Abs. 1, 2 und Abs. 4 VOL/A Gebrauch machen können.

Vorliegend handele es sich auch um einen Liefervertrag mit Dienstleistungselementen. Zur Lieferleistung von IuK-Ausstattungen gehörten auch Installations- und Beratungsleistungen sowie Vorortbesichtigungen. Hierbei sei festzustellen, dass die im Rahmen einer Ortsbesichtigung in Augenschein zu nehmenden Gegebenheiten und wahrzunehmenden vertiefenden Informationen nicht die generelle Information der vorliegend Leistungsbeschreibung ersetzen würden. So heiße es in der Leistungsbeschreibung unter Punkt 2.2.4.6: "Einen genauen Eindruck zu den Besonderheiten der einzelnen Lokationen kann sich jeder Bieter durch die Begutachtung vor Ort laut angegebenem Terminplan einholen". Im Übrigen werde bereits in der Leistungsbeschreibung auf die dort vorzufindenden Besonderheiten eingegangen. Des Weiteren seien keine unzumutbaren Belastungen von den Bietern gefordert gewesen. Es handele sich bei der Ausschreibung lediglich um konzeptionelle Anforderungen, es sei kein Denkmalschutz zu beachten. Raumpläne seien übergeben worden. Im Übrigen habe es sich um eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung mit funktionalen Elementen gehandelt. Die Antragstellerin übersehe, dass sich im Falle einer teilfunktionalen Ausschreibung denknotwendigerweise, gewisse Lasten und Risiken auch bereits hinsichtlich des Aufwandes bei der Angebotserstellung auf den Bieter verlagern. Hinsichtlich der Herstellerneutralität wies der Auftraggeber darauf hin, dass die vorliegende Ausschreibung zunächst auf die grundlegenden Anforderungen der Fördermittelrichtlinie des Freistaates Sachsen zurückgehe, in der bereits eine Reihe von Systemanforderungen und Parametern festgelegt seien. Nur unter diesen Voraussetzungen seien die Beschaffungen überhaupt förderfähig. Des Weiteren habe man die CCC zur Beratung bei der technischen Erstellung hinzugezogen. Diese Institution beruhe auf der Initiative D 21, welche die Zukunftsfähigkeit deutscher Ausbildungsstrukturen stärken solle. Als Ergebnis der Überprüfung hinsichtlich der Herstellerneutralität durch die ZZKD, sei dem Auftraggeber schriftlich bescheinigt worden, dass die Ausschreibung den Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Leistungsbeschreibung entspreche. Unter Bezugnahme auf die Leistungsbeschreibung Position 2.2.7.1 Transportsystem für mobiles Klassenzimmer wies der Auftraggeber darauf hin, dass die Anforderungen der Leistungsbeschreibung für die Notebookwagen durch das von der Beigeladenen angebotene Fabrikat ausreichend erfüllt würden. Im Übrigen biete die Beigeladene dasselbe Produkt wie die Antragstellerin an. Hinsichtlich der Vorbefassung mit dem Mediosprojekt teilte der Auftraggeber mit, der Freistaat Sachsen habe in den Jahren 2001 bis 2006 das Fördermittelprogramm Förderrichtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zur Förderung des Einsatzes der Informations- und Kommunikationstechnologien an Schulen, zuletzt geändert am 12.01.2004, aufgelegt. Fast alle sächsischen Kommunen und Landkreise hätten in diesem Rahmen Mediosprojekte realisiert. Insofern sei es sicherlich auch nicht ungewöhnlich, wenn beispielsweise die Beigeladene und FSYY als Hardwarelieferant an solchen Ausschreibungen beteiligt gewesen wären. Inwieweit sich eine Vorbefassung mit diesem Fördermittelprogramm wettbewerbsmäßig auf das Vergabeverfahren auswirke, könne nicht nachvollzogen werden. Eine Wettbewerbserheblichkeit im Sinne des § 4 Abs. 5 VgV werde nicht gesehen. Als Partner habe FSYY nicht nur die Beigeladene, sondern sehr viele Unternehmen. Sowohl die Beigeladene als auch FSYY seien nicht Mitglied im CCC. Hinsichtlich der Bewertung wies der Auftraggeber darauf hin, dass das Angebot der Antragstellerin sowohl teurer als auch hinsichtlich der Funktionalität schlechter bewertet worden sei als das Angebot der Beigeladenen.

Mit Beschluss der Vergabekammer vom 19.04.2007 wurde die Beigeladene zum Verfahren hinzugezogen.

Mit Schreiben vom 23.04.2007, noch vor Zustellung des Beiladungsbeschlusses bat die Beigeladene durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, zum Verfahren beigeladen zu werden und beantragte die Einsicht in die Vergabeakten.

Mit Schriftsatz vom 30.04.2007 nahm die Beigeladene zum Vergabenachprüfungsantrag Stellung. Sie führte aus, mangels ordnungsgemäßer Rüge sei der Vergabenachprüfungsantrag gemäß § 107 Abs. 3 GWB unzulässig. Die Rügen seien nicht durch die Antragstellerin, sondern durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft erhoben worden. Im Übrigen habe die Antragstellerin durch eine verspätete Antragstellung ihre Rechte verwirkt. Im Hinblick auf die durch die Antragstellerin angesprochene kurze Angebotsfrist sei der Vortrag präkludiert. Die Angebotsfrist sei bereits der am 16.01.2007 veröffentlichten Bekanntmachung zur streitgegenständlichen Vergabe zu entnehmen gewesen. Die diesbezügliche Rüge habe die Antragstellerin erst mit Schreiben vom 09.02.2007 erhoben. Gleiches gelte hinsichtlich des Vortrages zum Fehlen von Grund- und Raumplänen. Die Vorortbesichtigungen hätten vom 29.01.2007 bis 02.02.2007 stattgefunden. Das Fehlen vollständiger Grund- und Raumpläne sei jedoch erst am 09.02.2007 gerügt worden. Dies sei nicht mehr unverzüglich. Gleiches gelte ebenfalls im Hinblick auf die Unklarheiten der Leistungsbeschreibung und zu dem geltend gemachten Verstoß gegen das Gebot der Produktneutralität. Dadurch, dass die Verdingungsunterlagen der Antragstellerin bereits am 26.01.2007 zugegangen seien, sei auch hier von einer verspäteten Rüge auszugehen. Ebenso sei die Rüge hinsichtlich der Beteiligung des CCC nicht unverzüglich erhoben worden. Die Beteiligung des CCC sei der Antragstellerin bereits seit der Vorortbesichtigung zwischen dem 29.01.2007 und dem 02.02.2007 zur Kenntnis gelangt. Ebenso sei die Antragstellerin dadurch präkludiert, dass sie die intransparenten Angaben zur Wertung, die ihr seit dem 26.01.2007 bekannt gewesen seien, erst mit Schreiben vom 09.02.2007 gerügt habe. Im übrigen bestehe kein Ausschlussgrund nach § 4 Abs. 5 VgV. Die Vorschrift des § 4 Abs. 5 VgV enthalte gerade keinen zwingenden Ausschluss allein auf Grund der Beratung oder Unterstützung des Auftraggebers vor Einleitung des Vergabeverfahrens. Ein Ausschluss des Angebotes der Beigeladenen nach § 25 a Nr. 2 VOL/A oder § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f VOL/A komme nicht in Betracht. Dass die Beigeladene den durch die Antragstellerin betrachteten Nachunternehmer "abgeworben" habe und eine enge Zusammenarbeit mit FSx pflege, sei im Rahmen der Privatautonomie zulässig. Darüber hinaus sei festzuhalten, dass die Beigeladene die Mindestbedingungen der Ausschreibung erfüllt habe. Sie habe der Leistungsbeschreibung entsprechende Notebookwagen angeboten und ebenfalls ihren Nachunternehmer entsprechend der Vorgabe der Verdingungsunterlagen benannt. Im Übrigen sei die Angebotsfrist ausreichend lang bemessen gewesen. Das Fehlen von Grund- und Raumplänen sei vorliegend nicht beachtlich, da die Vorortbesichtigung dazu habe dienen sollen, sich über die räumlichen Gegebenheiten ausreichend zu informieren. Weiterhin seien keine Unklarheiten der Leistungsbeschreibung zu sehen, es läge auch kein unzumutbares Wagnis vor. Ebenfalls stelle die Ausarbeitung eines Wartungsvertrages kein unzumutbares Wagnis dar, sondern sei für die Bieter im Rahmen der Angebotserstellung kalkulierbar gewesen. Im Übrigen sei bei der Ausschreibung keine individuelle Software gefordert gewesen. Sämtliche mit der Ausschreibung geforderten Schulserver und Softwarelösungen seien für alle sich am Vergabeverfahren beteiligenden Bieter am Markt verfügbar gewesen. Der Vorwurf der fehlenden Produktneutralität sei nicht substantiiert vorgetragen worden. Die Rüge der Antragstellerin hinsichtlich der nicht transparenten Beteiligung des CCC sei unbegründet. Der Vortrag erschöpfe sich insofern in pauschalen Behauptungen und vagen Vorstellungen hinsichtlich einer unzulässigen Beteiligung des CCC am streitgegenständlichen Vergabeverfahren. Ebenso sei die Wertung anhand der Ziffer 1.6 der Verdingungsunterlagen für die Bieter hinreichend nachvollziehbar dargestellt worden. Die Wertungsentscheidung sei ebenfalls nachvollziehbar.

Mit Schriftsatz vom 30.04.2007 teilte die Antragstellerin durch ihren Verfahrensbevollmächtigten mit, das Angebot der Beigeladenen sei unvollständig, da die geforderten Erklärungen zum Umsatz nicht getätigt worden seien. Im Übrigen sei die Erklärung zur Haftpflichtversicherung und Angabe der Nachunternehmer nicht ausreichend in dem Angebot enthalten. Dies führe nach Ansicht der Antragstellerin zwingend zum Angebotsausschluss. Des Weiteren sei das Angebot der Beigeladenen wegen wettbewerbswidriger Verhaltensweisen gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f VOL/A auszuschließen gewesen. Die Antragstellerin vertiefte insoweit ihre Begründung. Sofern denn nun die Beigeladene die xxxx GmbH als Nachunternehmer mit in den Auftrag einbeziehe, sei dies im Licht der Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit der Bildung von Bietergemeinschaften wettbewerbswidrig. Dies gelte schließlich auch für die Exklusivitätsabsprache zwischen der Beigeladenen und dem Lieferanten der FSYY als Tochterbeteiligungsunternehmen der SXX AG. Dies sei insbesondere im Hinblick darauf, dass vorliegend nicht herstellerneutral vergeben worden sei und somit namhafte Unternehmen sich nicht am Vergabeverfahren beteiligt hätten, vergaberechtswidrig. Darüber hinaus liege in der genannten Konstellation ein Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs vor. Die Beigeladene habe über den Weg des gesetzten Partners von FSYY zweifelsfrei mittelbar Kenntnis von den Kalkulationsgrundlagen der potentiellen Konkurrenten erlangt. In diesem Zusammenhang verwies die Antragstellerin des Weiteren auf die Unvollständigkeit der Vergabeakte, dass die entsprechenden Datenblätter nicht dem ZZKD vorgelegt worden seien. Weiterhin sei festzustellen, dass der Beigeladenen Gegenstand und Inhalt der ausgeschriebenen Leistungen bereits bekannt gewesen sein müssten. Wesentlicher Anhaltspunkt hierfür sei die nichterfolgte Teilnahme an den Vorortbesichtigungen in den Schulen. Das gesamte Vorhaben beruhe offensichtlich auf den entwickelten Grundkonzepten der SXX AG, die im Rahmen des Projektes IT-Works des Schulen ans Netz e. V. präsentiert werden. Das vorgenannte Projekt werde zudem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, den Europäischen Sozialfonds und die Deutsche xxxxx AG, der Gesellschafterin und der Beigeladenen unterstützt. In diesem Zusammenhang werde auf Herrn xxxx, Vorstand des CCC, verwiesen, der entsprechende Präsentationen im IT-Bereich für die SXX AG vorgenommen habe. Der beauftragte CCC erfülle nicht einmal ansatzweise die Anforderungen der Neutralität. Auch soweit die PPP AG, die als Nachunternehmer der Antragstellerin benannt sei, Mitglied des CCC sei, hindere dies nicht die fehlende Neutralität. Im Übrigen hätten sich gegenüber der Antragstellerin sowohl der Geschäftsführer der xxxx GmbH xxx an deren Standort der CCC seinen Sitz habe, als auch die PPP AG von dem Verein CCC distanziert.

Die Gewichtung und anschließende Wertung weiche von der in der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen genannten Gewichtung der Zuschlagskriterien ab. Für die Leistung sollten 7.400 Punkte vergeben werden, die bereits im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl dem angegebenen Gewichtungsverhältnis entsprochen hätten. Nach dem Ergebnis der Mitteilung nach § 13 VgV sei festzustellen, dass die Leistungspunkte noch einmal mit dem angegebenen Gewichtungsfaktor multipliziert worden seien. Hierdurch sei die Gewichtung des Zuschlagskriteriums Leistung noch mal auf ca. 22 % im Verhältnis zum Preis reduziert worden. Weiterhin sei hinsichtlich der Auswertung im Anforderungskatalog festzustellen, dass der überwiegende Teil an zu vergebenden Punkten sich auf das Vorliegen von KO-Anforderungen zu Eignungsnachweisen beziehe. Insoweit sei auch von einer Vermischung der Wertungsstufen auszugehen. Fehlerhaft sei im Übrigen auch die Wertung der Eignung im Hinblick auf die Referenzen. Zum einen werde diesbezüglich ein Mehr an Eignung gewertet. Zum anderen seien die sachlichen Bezugspunkte, insbesondere die Orientierung an den Auftragswerten, unzulässig. Darüber hinaus sei die Bewertung der Konzepte mangels transparenter Wertungsmatrix nicht nachvollziehbar und die Vergabeakte daher unvollständig.

Die Antragstellerin vertiefte ihre Begründung mit Schriftsatz vom 06.05.2007. Es werde bestritten, dass beide Mitglieder der Bietergemeinschaft bereits am 16.01.2007 Kenntnis von der Veröffentlichung der Bekanntmachung und deren Inhalt erlangt haben sollen. Erst am 26.01.2007, am Nachmittag nach Dienstschluss, seien die Vergabeunterlagen für das zunächst bis zum 12.02.2007 abzuarbeitende und abzugebende Angebot bei den Unternehmen eingegangen. Ausdrücklich bestritten werde die Annahme, dass die Antragstellerin bereits vor den Vorortbesichtigungen die Durchsicht und Prüfung der Vergabeunterlagen begonnen habe. Entsprechende positive Kenntnisse hinsichtlich der Unzulänglichkeiten der Leistungsbeschreibung hätten bei den Sachbearbeitern der die Bietergemeinschaft bildenden Unternehmer erst am 07. bzw. 08.02.2007 vorgelegen. Grund hierfür seien die vorher durchzuführenden Recherchen bei verschiedenen Herstellern. Des Weiteren hätten erst zu diesem Zeitpunkt Recherchen zu CCC und Herrn xxxx erfolgen können. Die Antragstellerin vertiefte im Folgenden ihren Vortrag zu den Rügen vom 08.02.2007 (telefonisch), vom 09.02.2007 und vom 14.02.2007. Am 14.02.2007 habe man sich entschlossen, die Bietergemeinschaft zu gründen. Die Antragstellerin vertiefte ihren Vortrag zur Unverzüglichkeit und Wirksamkeit der Rügen und insbesondere zur Rüge der Antragstellerin als Bietergemeinschaft. Des Weiteren teilte die Antragstellerin mit, man habe erst im Vergabeverfahren erkannt, dass der angegebenen Gesamtpunktzahl keine nachvollziehbare Bewertung zu Grunde liegen würde. Gleiches gelte im Hinblick auf die unvollständigen Eignungsnachweise der Beigeladenen. Weiterhin sei der Vergabenachprüfungsantrag auch nicht wegen Verwirkung unzulässig. Die Antragstellerin vertiefte ihren Vortrag zur Länge der Angebotsfrist, zu den Raumplänen, zu den beanstandeten Planungsleistungen, für Arbeiten im Außenbereich, zu Fragen des Denkmalschutzes, zum Wartungsvertrag, zu den Konzepten, zu den Freizeichnungsklauseln und der funktionalen Ausschreibung und zur Herstellerneutralität. Im Übrigen vertiefte die Antragstellerin ihre Begründung zur Beteiligung des CCC. Sie wies des Weiteren darauf hin, dass im Angebotsschreiben vom 18.01.2006 des CCC die dort ersichtlichen Telefonnummern der SXX AG, Niederlassung XXXX, zuzuordnen seien.

Die Beigeladene beantragte mit Schriftsatz vom 07.05.2007 u. a., den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen. Sie vertiefte ihren Vortrag zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages. Ein zwingender Ausschlussgrund, selbst wenn die Behauptungen der Antragstellerin stehen bleiben würden, werde im Sinne des § 25 Nr. 1 Abs. 2 lit. a VOL/A nicht gesehen. Insbesondere sei der Einsatz des genanten Nachunternehmers im Sinne der Privatautonomie zulässig. Hinsichtlich des angesprochenen Servicestandortes, dass dieser im Umkreis von 50 km vom Standort xxxxx zu gewährleisten sei, führte die Beigeladene aus, sie habe einen Unternehmensstandort in diesem Umkreis, so dass die Einbindung des Nachunternehmers vor dem Hintergrund erfolgt sei, dass eine Zusammenarbeit für die Abgabe eines wirtschaftlichen Angebots im Rahmen eines kaufmännisch vernünftigen Handels zweckmäßig gewesen sei. Weiterhin teilte die Beigeladene mit, sie habe keine Exklusivitätsabsprache mit FSYY. Im Übrigen habe sie entgegen dem Vortrag der Antragstellerin an den Vorortbesichtigungen teilgenommen. Die Beigeladene vertiefte ihren Vortrag dazu, dass sie nicht durch das Mediosprogramm vorbefasst gewesen sei und dass sie nicht am CCC beteiligt gewesen wäre. Sie vertiefte ihre Ausführungen zur Produktneutralität und zur fehlerhaften Wertung.

Der Auftraggeber vertiefte mit Schriftsatz vom 07.05.2007 seine Begründung. Zunächst teilte er mit, die Antragstellerin habe ein unklares Rechtsschutzziel angegeben. Der Vergabenachprüfungsantrag fuße lediglich auf Behauptungen. Die Beigeladene habe die geforderten Erklärungen im Hinblick auf Umsatzangaben, Haftpflichtversicherung, Nachunternehmererklärungen entsprechend der Leistungsbeschreibung der Vorgaben der Bekanntmachung erfüllt.
Der Auftraggeber teilte mit, dass für ihn keine wettbewerbsbeschränkende Abrede zwischen der xxxxxx GmbH und der Beigeladenen zu erkennen sei. Des Weiteren sei für ihn keine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung zwischen der Beigeladenen und dem Lieferanten FSYY zu erkennen. Weiterhin könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beigeladene Vorkenntnisse über die Ausschreibung gehabt habe. Die Beigeladene habe an den Vorortterminen teilgenommen. Darüber hinaus habe die Versendung der Verdingungsunterlagen an sämtliche Interessenten zur gleichen Zeit stattgefunden. Hinsichtlich der inhaltlichen Konzeption der Ausschreibung werde darauf hingewiesen, dass diese der Förderrichtlinie Medios entspreche. Zum CCC teilte der Auftraggeber mit, dass nicht Gegenstand des Verfahrens sei, wer Mitglied des Vereins sei. Fakt sei, dass die von der Antragstellerin benannte Nachunternehmerin PPP AG als Mitglied des CCC geführt werde. Es sei daher nichts Überraschendes, wenn Vereine mit dem ausgewiesenen Tätigkeitsfeld Schulen ans Netz, Beratung, Kommunikations- und Informationsbereich entsprechende Wirtschaftsteilnehmer bzw. Mitarbeiter als Mitglieder führen würden. Die Beigeladene sei nicht Mitglied des CCC. Schließlich sei festzuhalten, dass der CCC kein Konzept erstellt habe, das mit der Ausschreibung umgesetzt werde. Es werde nochmals hervorgehoben, dass wesentliche Beratungsleistungen durch Berufsschullehrer erbracht worden seien und eine abschließende Prüfung durch die ZZKD erfolgt sei. Der Auftraggeber vertiefte im Weiteren seine Begründung hinsichtlich der Wertung.

Der Auftraggeber übergab mit Schriftsatz vom 08.05.2007 eine Stellungnahme der ZZKD vom 08.05.2007 zur Produktneutralität der Ausschreibung

Mit Schriftsatz vom 09.05.2007 vertiefte die Antragstellerin ihre Begründung dazu, dass die Ausschreibung nicht produktneutral sei. Insoweit sei die Stellungnahme der ZZKD oberflächlich und falsch. Sie vertiefte ihre Begründung dahingehend, dass das Angebot der Beigeladenen mangels vorgelegter Umsatzzahlen zwingend auszuschließen gewesen wäre. Sie vertiefte des Weiteren ihre Begründung hinsichtlich der wettbewerbswidrigen Beziehungen zwischen der Beigeladenen, dem CCC, der SXX AG und FSYY.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 14.05.2007 wurde mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert. Auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wird verwiesen. Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien und wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf die übrigen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die von der Vergabestelle überlassenen Vergabeakten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Die Antragstellerin stellte ihre Anträge aus dem Schriftsatz vom 05.04.2007. Darüber hinaus stellt die Antragstellerin den Antrag zu 7., hilfsweise das Vergabeverfahren aufzuheben und nach Maßgabe der Vergabekammer für den Fall des Bestehens der weiteren Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren erneut durchzuführen. Der Antrag zu 2. habe sich erledigt.

Der Auftraggeber stellte seine Anträge aus dem Schriftsatz vom 26. 04. 2007.

Die Beigeladene erklärte, keinen eigenen Antrag stellen zu wollen.

Die Beigeladene erwiderte mit Schriftsatz vom 09.05.2007 in vertiefender Weise auf den Schriftsatz der Antragstellerin vom 07.05.2007.

Mit Schriftsatz vom 12.05.2007 vertiefte der Auftraggeber seine Begründung im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Rügen der Antragstellerin. Insbesondere sei die Rüge vom 08.02.2007 unwirksam, da eine wirksame Rüge dem Schriftformerfordernis unterliege. Des Weiteren wurde die Begründung im Hinblick auf die Herstellerneutralität der Ausschreibung, den vorzulegenden Wartungsvertrag, der Beteiligung des CCC, der Wertung, der Zurverfügungstellung der Angebotsunterlagen, zur Dokumentation und der Vergabeakte und zur Funktion der ZZKD weiter vertieft.

Mit Schriftsatz vom 16.05.2006 vertiefte die Antragstellerin ihre Begründung. Es sei kein 3 Monate alter Gewebezentralregisterauszug vorzulegen gewesen. Die Vergabebekanntmachung habe auch die Vorlage einer Präqualifizierungsbestätigung der Auftragsberatungsstelle Sachsen e.V. zum Unternehmer- und Lieferantenverzeichnis ausreichen lassen. Diese würde nur jährlich aktualisiert. Im Übrigen hätten die Verdingungsunterlagen nicht auf die Vergabebekanntmachung Bezug genommen. In den Verdingungsunterlagen fände sich nicht die Forderung nach einem bis zu 3 Monate alten Gewerbezentralregisterauszug. Im Übrigen sei es in der kurzen Zeit zur Angebotserstellung kaum möglich, einen aktuellen Gewerberegisterauszug beizubringen. Herr xxxx habe zudem verzögert das Leistungsverzeichnis dem Auftraggeber übergeben. Der Auftraggeber habe es versäumt, einen eigenen qualifizierten Mitarbeiter mit der Vergabe zu betrauen.

Mit Schriftsatz vom 16.05.2006 vertiefte die Beigeladene ihrer Begründung. Sie stellte dar, dass die geforderten Umsatzzahlen sich aus dem mit dem Angebot vorgelegten Geschäftsbericht des Mutterkonzerns ergeben hätten. Es habe keine Pflicht gegeben, die Umsatzzahlen für 2006 vorzulegen, da es dem Mutterkonzern nicht zumutbar gewesen wäre, diese Zahlen bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe zu veröffentlichen. Leitende Angestellte seien nur solche, die in § 14 KSchG beschrieben seien. Diese seien mit dem vorgelegten Handelsregisterauszug benannt worden.

Die Antragstellerin erwiderte mit Schriftsatz vom 18.05.2007. Das Angebot der Beigeladenen sei auszuschließen, da nicht die geforderten Umsatzzahlen vorgelegt worden seien. Die Beigeladene habe nicht die eigenen, sondern die Umsatzzahlen des Mutterkonzerns, der Deutschen xxxxAG vorgelegt. Angaben zum Jahr 2006 fänden sich nicht im vorgelegten Geschäftsbericht der Deutschen xxxx AG. Die geforderten Angaben zu den Beschäftigten seien auch nicht in dem Bericht enthalten. Der Hinweis der Beigeladenen, der vorgelegte Handelsregisterauszug weise die leitenden Angestellten aus, sei lebensfremd, da ansonsten in einem Unternehmen wie der Beigeladenen nur der Geschäftsführer und der Prokurist mit Personalangelegenheiten ausgelastet seien. Im Weiteren nahm die Antragstellerin unter Vorlage der entsprechenden EU-Vergabebekanntmachungen Bezug auf eine im Jahr 2003 durchgeführte Ausschreibung eines "Medios-Projekts" im Südraum Leipzig. Hier sei als zuständige Stelle für nähere Auskünfte die Sxx  GmbH & Co. KG benannt worden. Es sei seinerzeit nur ein Angebot eingegangen, die Deutsche xxxxx AG habe den Zuschlag erhalten. Herr xxxx habe auch im Termin zur mündlichen Verhandlung bestätigt, an diesem Projekt in seiner Funktion als Mitarbeiter der SXX AG beteiligt gewesen zu sein.

Mit Schriftsatz vom 18.05.2006 nahm der Auftraggeber zu der Möglichkeit des Eignungsnachweises durch Vorlage einer Präqualifizierungsbestätigung der Auftragsberatungsstelle Sachsen e.V. Stellung. Es sei nicht richtig, dass zur Präqualifizierung nur einmal jährlich ein Gewerbezentralregisterauszug vorzulegen sei. Vielmehr sei eine jeweils 3-monatige Aktualisierung erforderlich. Im Übrigen habe der öffentliche Auftraggeber Zugriff auf die entsprechenden bei der Auftragsberatungsstelle Sachsen e.V. gespeicherten Daten. Sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene hätten keine Präqualifizierungsbestätigung vorgelegt.

II

1.     Der Antrag auf Nachprüfung ist teilweise zulässig (1.) und begründet. (2).

a)    Die 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen ist gemäß § 2 der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über Einrichtung, Organisation Vergabekammern des Freistaates Sachsen (SächsVgKVO) vom 23.03.1999 (SächsGVBl. S. 214) für den Antrag zuständig, da es sich bei der ausgeschriebenen Leistung um einen Liefer- und Dienstleistungsauftrag im Sinne von § 99 Abs. 2 GWB handelt.

b)    Die geplante Gesamtauftragssumme überschreitet den EU-Schwellenwert. Nach § 100 Abs. 1 GWB unterliegen der Nachprüfung durch die Vergabekammer nur Aufträge, welche die Auftragswerte (Schwellenwerte) erreichen oder überschreiten. Die Auftragswerte werden durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt. Der Gesetzgeber hat von der Ermächtigung in § 127 Nr. l GWB zum Erlass einer Rechtsverordnung durch Erlass der Vergabeverordnung (VgV) Gebrauch gemacht. Gemäß § 2 Nr. 3 VgV beträgt der Schwellenwert 211.000 €. Der ausgeschriebene Auftrag liegt unstreitig über diesem Wert.

c)    Der Auftraggeber unterliegt gem. § 98 Nr. 1 GWB dem Vergaberechtsregime.    

d)    Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Gemäß § 107 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse am Auftrag hat, eine Verletzung in bieterschützenden Rechten und zumindest einen drohenden Schaden darlegt. Am Vorliegen der Antragsbefugnis könnte deshalb gezweifelt werden, weil die Antragstellerin womöglich kein eigenes zuschlagsfähiges Angebot eingereicht hatte. Der BGH hat mit Beschluss vom 26.09.2006 – X ZB 14/06 klargestellt, dass der Bieter regelmäßig unabhängig davon im Nachprüfungsverfahren antragsbefugt ist, ob auch sein Angebot an einem Ausschlussgrund leidet, wenn er die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften darlegt und danach als vergaberechtsgemäße Maßnahme die Aufhebung der Ausschreibung in Betracht kommt, weil alle anderen Angebote unvollständig sind. Die Antragstellerin hat dargelegt, dass sie die Zuschlagserteilung an die Beigeladene für vergaberechtswidrig halte und -wenn auch hilfsweise- beantragt, die Ausschreibung aufzuheben. Sie hat damit dargelegt, ihr drohe dahingehend ein Schaden, dass im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz des § 97 Abs. 7 GWB alle anderen Angebote hätten zwingend ausgeschlossen werden müssen, was der Antragstellerin bei einer erneuten Ausschreibung die Chance auf den Zuschlag ermöglichen könnte.     Die Antragstellerin hat ein Interesse an dem Auftrag, weil sie das zur Nachprüfung gestellte Vergabeverfahren durchführt. Dies bedurfte keiner weiteren Darlegung, weil die Antragstellerin als Bieterin in dem eingeleiteten Vergabeverfahren beteiligt ist und bereits der Umstand der Angebotsabgabe regelmäßig das erforderliche Interesse belegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.06.2004 – 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564).

e)    Der Vergabenachprüfungsantrag ist hinsichtlich des Rügeerfordernisses des § 107 Abs. 3 GWB zulässig. An der Erfüllung der Rügeobliegenheit mag gezweifelt werden, da die antragstellende Bietergemeinschaft erstmals als Bietergemeinschaft am 30.03.2007 also lange nach Kenntnis der behaupteten Vergaberechtsverstöße eine diesbezügliche Rüge erhoben hat. Diese Rüge ist jedoch mangels Unverzüglichkeit verfristet.

ea) Rügen vom 08.02.2007, vom 09.02. und vom 14.02.2007

    Jedoch hat die AA GmbH. bereits am 08.02.2007 eine telefonische Rüge sowie am 09.02.2007 eine schriftliche Rüge erhoben. An einer wirksamen Rüge könnte deshalb gezweifelt werden, da nicht die antragstellende Bietergemeinschaft, sondern nur ein Mitglied derselben die Rügen erhoben hat. Zunächst ist hierzu festzustellen, dass selbst dann, wenn eine schon bestehende Bietergemeinschaft im Verlaufe eines Vergabeverfahrens einen Vergabeverstoß erkennt, einheitlich, vertreten durch das hierzu berufene Mitglied oder durch jedes einzelne Mitglied zu rügen hat (Dammert/Fett, Praxishandbuch für die Vergabe von Bau- und Planungsleistungen nach VOB und VOF, D II Rdn. 95; Reidt/Sticker/Glahs, Vergaberecht, § 107 Rd. 23; VK Sachsen vom 8.7.2004, 1/SVK/044-04). Im vorliegenden Fall kommt die Besonderheit hinzu, dass, so die Darstellung der Antragstellerin, die Bietergemeinschaft zum Zeitpunkt, als die Rüge erhoben wurde, noch nicht existent war. Man hat sich erst später dazu entschlossen, eine Bietergemeinschaft zu gründen. Die AA GmbH hat die Rüge deshalb ausschließlich für sich erhoben, nicht für die spätere Bieterin und Antragstellerin, die Bietergemeinschaft. Es fehlt deshalb schon an der Rüge der Antragstellerin als solcher. Nach Auffassung der erkennenden Vergabekammer ist grundsätzlich ein Mitglied der Bietergemeinschaft nicht dazu befugt, im Namen der Bietergemeinschaft eine Rüge zu erheben, wenn es dazu nicht bevollmächtigt ist. Eine Bietergemeinschaft, die sich erst kurz vor Angebotsabgabefrist bildet, muss auch dann noch einmal selbst rügen, wenn einzelne ihrer Mitglieder bereits zu einer Zeit gerügt haben, als die Bietergemeinschaft noch nicht bestand. Sie kann sich nicht erst im Nachprüfungsverfahren auf diese Rügen beziehen und sich diese zu eigen machen. Rügen der ursprünglichen Einzelunternehmen wachsen der Bietergemeinschaft nicht automatisch zu. Die Bietergemeinschaft unterscheidet sich rechtlich von dem Einzelunternehmen – es besteht keine rechtliche Identität – ; die Vergabestelle muss wissen, welche Rügen ggfls. noch aktuell sind, auf die sie sich einstellen muss. (VK Hessen, Beschluss vom 26.01.2005 – 69d-VK-96/2004 ). Eine Bezugnahme der Antrag stellenden Bietergemeinschaft am 30.03.2007, also nahezu 6 Wochen nach Angebotsabgabe ist zweifelsfrei nicht mehr vom Begriff der Unverzüglichkeit nach § 107 Abs. 3 GWB gedeckt. Im vorliegenden Einzelfall war jedoch die Antragstellerin gerade nicht gehalten, sich auf die bereits erhobenen Rügen zu beziehen und sich diese zu eigen zu machen, denn mit Schreiben vom 15.02.2007 hat der Auftraggeber unmissverständlich und abschließend kund getan, sich mit dem Rügeinhalt nicht mehr auseinanderzusetzen. Die Rüge soll dem Auftraggeber Gelegenheit geben, durch den Bieter erkannte Vergaberechtsverstöße zu beseitigen. Sobald ein Bieter einen Verfahrensverstoß erkennt, soll er ihn gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) rügen, damit jener den Fehler korrigieren und damit ein Nachprüfungsverfahren vermieden werden kann (OLG Naumburg, B. v. 04.01.2005 – Az.: 1 Verg 25/04; BayObLG, B. v. 22.1.2002 – Az.: Verg 18/01). Wenn allerdings nicht mehr zu erwarten ist, dass der Auftraggeber den behaupteten Vergabeverstoß beseitigt, da er sich endgültig weigert, sich weiterhin mit dem Vergaberechtsverstoß auseinanderzusetzen, muss dem Bieter die Erhebung einer erneuten Rüge bzw. die Bezugnahme auf eine bereits erhobene Rüge sinnlos erscheinen. Mithin ist eine Rüge entbehrlich, wenn die Vergabestelle zu erkennen gibt, dass sie von vornherein und unumstößlich an ihrer Entscheidung festhalten wird. In einer solchen Situation wäre ein Festhalten an der Rügepflicht eine von vornherein aussichtslose und mit den Geboten von Treu und Glauben unvereinbare Förmelei (OLG Dresden, B. v. 21.10.2005 – Az.: WVerg 5/05; OLG Düsseldorf, B. v. 16.02.2005 – Az.: Verg 74/04; OLG Saarbrücken, B. v. 29.5.2002 – Az.: 5 Verg 1/01; BayObLG, B. v. 23.10.2003 – Az.: Verg 13/03;). Die Beantwortung der Frage, ob die Rügepflicht eine mit den Geboten von Treu und Glauben unvereinbare Förmelei darstellt, hängt nicht von der Anwendung eines allgemein gültigen Rechtssatzes, sondern von einer Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls ab (OLG Koblenz, B. v. 18.9.2003 – Az.: 1 Verg 4/03). Nach Aussage der Antragstellerin hat sich die Bietergemeinschaft am 14.02.2007 gegründet. Demnach wäre es aus Sicht der antragstellenden Bietergemeinschaft nicht erfolgversprechend gewesen, noch nach der Mitteilung des Auftraggebers vom 15.02.2007 nunmehr als Bietergemeinschaft erneut den Auftraggeber aufzufordern, die bereits einzeln behaupteten Vergaberechtsverstöße zu beseitigen. Eine Bezugnahme auf die bereits erhobenen Rügen wäre im vorliegenden Einzelfall als Förmelei zu betrachten gewesen.

eb) Rügeinhalt telefonische Rüge vom 08.02.2007

    Am 08.02.2007 teilte die AA GmbH dem Auftraggeber im Wesentlichen telefonisch mit, die Verbindungen zwischen CCC, SXX und der Beigeladenen ließen darauf schließen, dass die Beigeladene den Zuschlag erhalten solle. Im Übrigen sei die Ausschreibung nicht produktneutral. Sie sei auf "SXX-Produkte" ausgerichtet. Diesbezüglich führte die AA GmbH Beispiele des Leistungsverzeichnisses an, die ihrer Meinung nach auf die fehlende Produktneutralität schließen ließen. Soweit der Auftraggeber vorträgt, die Rüge sei unwirksam, da eine Rüge nach § 107 Abs. 3 GWB dem Schriftformerfordernis unterliege, kann die erkennende Vergabekammer dem nicht folgen. § 107 Abs. 3 GWB fordert gerade nicht die Schriftform der Rüge. Für die Rüge schreibt § 107 GWB keine besondere Form vor; grundsätzlich sind daher auch telefonische Rügen ausreichend (OLG Düsseldorf, B. v. 29.03.2006 – Az.: Verg 77/05; 2. VK Bund, B. v. 08.06.2006 – Az.: VK 2-114/05; 1. VK Bund, B. v. 09.02.2005 – Az.: VK 2-03/05; 1. VK Sachsen, B. v. 25.6.2001). – Allenfalls können sich bei mündlichen oder telefonisch erhobenen Rügen Dokumentationsmängel ergeben. Vorliegend hat jedoch die Mitarbeiterin des Auftraggebers, Frau XXXX, das Telefongespräch in Form eines Gesprächvermerkes ausreichend dokumentiert.

Nach Ansicht der erkennenden Vergabekammer ist das Telefongespräch vom 08.02.2007 auch inhaltlich als Rüge im Sinne des § 107 Ans. 3 GWB zu verstehen. Von Bewerberseite wurde klar zum Ausdruck gebracht, dass man der Ansicht sei, dass ein vergaberechtswidriges Verhalten des Auftraggebers vorliege und dass man erwarte, der Auftraggeber ändere die behaupteten vergaberechtswidrigen Zustände. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass Frau xxxx, Mitarbeiterin des Auftraggebers, in der mündlichen Verhandlung bestätigte, das Gespräch oder die Information sei in sehr geballter Form an sie herangereicht worden. Sie habe aus diesem Grunde auch gesagt, dass sie das Gespräch an ihren Vorgesetzten weiterleiten würde und sie habe im Nachgang darum gebeten, dass das auch noch schriftlich geäußert werde, weil sie dem gesamten Komplex der Vorwürfe in dem Augenblick nicht abhelfen habe können.

Die Rüge ist auch unverzüglich nach positiver Kenntnis der behaupteten Vergaberechtsverstöße erfolgt. Wenn die Bietergemeinschaft -wie vorliegend- aufgrund der endgültigen Weigerung des Auftraggebers, sich im Weiteren mit den bereits gerügten Sachverhalten zu beschäftigen, nicht mehr gehalten ist, sich konkret auf die bereits durch ein Mitglied der Biergemeinschaft erhobenen Rügen zu beziehen, so muss sie sich im Sinne der Präklusionsregel des § 107 Abs. 3 GWB zumindest die positive Kenntnis sowie die Rüge des Mitglieds der Bietergemeinschaft zurechnen lassen. Ansonsten würde der Sinn und Zweck des § 107 Abs. 1 GWB, der den Bieter veranlassen soll, erkannte Vergaberechtsverstöße unverzüglich zu rügen, um dem Auftraggeber im Sinne einer beschleunigten Durchführung des Vergabeverfahrens Gelegenheit zu geben, die Vergaberechtsverstöße zu beseitigen, ins Leere laufen. Mit der Präklusionsregel des § 107 Abs. 3 GWB soll gerade vermieden werden, dass der Bieter einen Vergaberechtsverstoß im "Köcher" hält, um ihn dann zu "verwenden", wenn es ihm günstig erscheint. Die Antragstellerin hat vorgetragen, man habe die Fehler der Leistungsbeschreibung erst nach den durchgeführten Vor-Ort-Besichtigungen am 07.02.2007 erkannt. Die Verdingungsunterlagen hat die AA GmbH nach ihren eigenen Angaben erst am 26.02.2007 erhalten. Aufgrund der Aussage des Auftraggebers, dass es bei der Versendung der Verdingungsunterlagen zu Verzögerungen gekommen sei, sieht die erkennende Vergabekammer keinen Grund an dieser Aussage der Antragstellerin zu zweifeln. Der Bieter muss nicht sofort nach Erhalt der Verdingungsunterlagen diese auf mögliche Vergaberechtsverstöße prüfen. Für die Beanstandung eines Bieters, ihm würden mit den Vergabeunterlagen Angaben abverlangt, die objektiv nicht möglich und deshalb vergabewidrig seien, beginnt die Rügefrist des § 107 Abs. 3 GWB spätestens mit dem Beginn der Ausarbeitung des eigenen Angebots, weil der Bieter jedenfalls zu diesem Zeitpunkt den aus seiner Sicht rügebedürftigen Inhalt der Ausschreibung festgestellt hat und ihn dann gegenüber dem Auftraggeber nicht mehr unbeanstandet lassen darf ) OLG Dresden, Beschluss vom 11.09.2006 – WVerg 13/06).

Die Antragstellerin hat vorgetragen man habe zunächst Hersteller kontaktieren müssen und sei erst nach Durchführung der Vor-Ort-Termine so weit mit der Durcharbeitung der Leistungsbeschreibung gewesen, dass die fehlende Produktneutralität zu erkennen gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung führte die Antragstellerin aus, man habe zur Bearbeitung des Angebots ca. 3 Leute 10 Tage lang telefonieren lassen. Herr xxxx aus dem Hause habe die Verteilung der Arbeit vorgenommen. Er sei auch als Sachbearbeiter mit anderen Aufgaben betraut gewesen. In der Woche nach Erhalt der Verdingungsunterlagen sei man dann erstmal mit den Besichtigungsterminen beschäftigt gewesen. Der letzte Vor-Ort-Besichtigungs-Termin, an dem die AA GmbH teilgenommen hat, war Freitag der 02.02.2007. Insoweit ist die Behauptung nachvollziehbar, dass man erst in der Woche nach dem 02.02.2007, nachdem ca. 10 Tage mit möglichen Herstellern telefoniert wurde, positive Kenntnis von den behaupteten Mängeln des Leistungsverzeichnisses hatte. Auch der Umstand, dass die antragstellende Bietergemeinschaft sich erst am 14.02.2007 konstituiert hat, stützt diese Aussage. Die erkennende Vergabekammer hat infolge dessen keinen Grund daran zu zweifeln, dass erst am 07.02.2007 positive Kenntnis von den Mängeln des Leistungsverzeichnisses bestand.

Gleiches gilt für die behaupteten Verbindungen zwischen CCC, der Sxx AG und der Beigeladenen sowie der Behauptung, die Beigeladene werde den Zuschlag erhalten. Die Antragstellerin behauptet, die AA GmbH habe auch hierzu erst am 07.02.2007 positive Kenntnis gehabt. Die erkennende Vergabekammer hat auch im Ergebnis der mündlichen Verhandlung keinerlei Erkenntnisse darüber, dass vorher positive Kenntnis über diesen Umstand feststellbar ist. Das OLG Dresden sieht als Obergrenze eine Regelfrist für die Beanstandung von Vergabemängeln "durchschnittlichen Zuschnitts" von einer Woche an (OLG Dresden, Beschluss vom 06.04.2004, Az. WVerg 1/04). Demnach ist vorliegend nicht von einer Rügepräklusion auszugehen.

ec) Rüge vom 09.02.2007

Mit Schreiben vom 09.02.2007 teilte die AA GmbH dem Auftraggeber im Wesentlichen mit, dass das Beratungsunternehmen CCC nicht neutral sei; die Beigeladene eine enge Kooperation mit Sxx und FSYY habe und Herr xxx, der im Vergabeverfahren mitwirke, als ehemaliger Mitarbeiter der Sxx AG bekannt sei und damit die Beratertätigkeit als solche unzulässig sei. Die erkennende Vergabekammer ist der Auffassung, dass die hiermit erhobenen Rügen bereits durch die Rüge vom 08.02.2007 gedeckt sind. Was die inhaltlichen Anforderungen an eine Rüge angeht, fordert § 107 Abs. 3 GWB lediglich die Angabe von Verstößen gegen Vergabevorschriften. Im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes sind an die Rüge daher nur geringe Anforderungen zu stellen (1. VK Bund, B. v. 16.06.2006 – Az.: VK 1-34/06; VK Hamburg, B. v. 03.11.2005 – Az.: VK BSU-3/05; VK Brandenburg, B. v. 16.12.2004 – Az.: VK 70/04; VK Arnsberg, B. v. 10.09.2004 – Az.: VK 1-15/2004).

Soweit die Rüge sich darauf bezieht, der Zeitrahmen zur Abgabe eines Angebots sei zu kurz, so ist von einer materiellen Präklusion im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB auszugehen. Zwar wurde in der EU-Bekanntmachung vom 16.02.2007 der Abgabetermin für die Angebote 12.02.2007 benannt. Hierfür wäre eine Rügefrist im Sinne des § 107 Abs. 3 S. 2 GWB , bis zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe, maßgeblich gewesen. Vorliegend hat jedoch der Auftraggeber sowohl in Anbetracht der verzögerten Versendung der Verdingungsunterlagen als auch in Anbetracht der von Bewerbern erhobenen Rügen mit Schreiben vom 30.01.2007 mitgeteilt, nunmehr seien die Angebote bis zum 16.02.2007 abzugeben. Damit gilt hinsichtlich dieses Umstandes nicht mehr die Frist des § 107 Abs. 3 S.2 GWB, sondern die des § 107 Abs. 3 S.1 GWB. Die der Vergabekammer überlassene Vergabeakte enthält weder die Dokumentation der Absendung des Schreibens vom 30.01.2007, noch einen Zugangsnachweis bei der AA GmbH. Ob es sich hier um einen Dokumentationsmangel handelt, oder ob die Vergabeakte insoweit unvollständig ist, brauchte nicht weiter vertieft werden. Die Rüge vom 09.02.2007 (Freitag) ging beim Auftraggeber erst nach 21.00 Uhr ein. Eine Kenntnisnahme der Rüge ist nach der Verkehrsanschauung nicht zu erwarten, wenn ein Telefax außerhalb der üblichen Bürozeiten zugeht. Danach ist das Rügeschreiben, welches dem Auftraggeber an einem Freitag, nach Büroschluss, zugefaxt wird, erst am darauffolgenden Montag zugegangen, da diese Uhrzeit außerhalb der üblichen Bürozeiten liegt (VK Sachsen, Beschluss vom 10.08.2006 – 1/SVK/079-06). Damit ist erst von einem Zugang am Montag, 12.02.2007, beim Auftraggeber auszugehen. In Anbetracht der aufhebungsrelevanten Mängel des Vergabeverfahrens kam es vorliegend nicht mehr darauf an, abschließend festzustellen, wann tatsächlich positive Kenntnis des neuen Abgabetermins vorlag.

Etwas anderes hinsichtlich der festzustellenden positiven Kenntnis gilt für den nunmehr gerügten Zeitrahmen der Vor-Ort-Besichtigungen. Diese waren den Bietern bereits mit Erhalt der Verdingungsunterlagen bekannt. Vorliegend ist dies nach Aussage der Antragstellerin der 26.02.2007. Die veränderten Vor-Ort-Termine wurden den Bewerbern ebenfalls mit o.g. Schreiben vom 30.01.2007 mitgeteilt. Auch wenn nicht nachgehalten werden kann, wann die AA GmbH dieses Schreiben erhalten hat, so ist festzustellen, dass sie an den Vor-Ort-Besichtigungen teilgenommen und somit davon Kenntnis hatte. Soweit diese Rüge nach Durchführung der Vor-Ort-Termine erfolgte, ist sie präkludiert. Zwar sieht das OLG Dresden als Obergrenze eine Regelfrist für die Beanstandung von Vergabemängeln "durchschnittlichen Zuschnitts" von einer Woche an (OLG Dresden, Beschluss vom 06.04.2004, Az. WVerg 1/04). Hierbei ist jedoch von einer Obergrenze einer Regelfrist auszugehen. Das Merkmal der Unverzüglichkeit ist kein feststehender Rechtsbegriff. Dass die Vor-Ort-Termine nicht ausreichend sind, ist ein Umstand, der keine größeren Recherchen erfordert. Zudem ist Sinn und Zweck der Rüge, dem Auftraggeber Gelegenheit zu geben, vergaberechtskonforme Zustände herzustellen. Insoweit ist es dem rügenden Bieter zuzumuten, vor den Terminen, bis zum Abschluss des Termines bzw. unmittelbar nach Abschluss der Termine in Kenntnis der unzureichenden Durchführung der Termine eine Rüge zu erheben. Das Zuwarten von 1 Woche bis zur Rügeerhebung ist nach Auffassung der erkennenden Vergabekammer vorliegend nicht mehr vom Merkmal der Unverzüglichkeit gedeckt. Damit ist die Antragstellerin hinsichtlich dieses Vortrags präkludiert. Soweit sich die Antragstellerin mit ihrer Rüge vom 09.02.2007 detaillierter auf die fehlende Produktneutralität der Ausschreibung bezieht, liegt insoweit bereits schon eine telefonische Rüge vom 08.02.2007 vor. Was die inhaltlichen Anforderungen an eine Rüge angeht, fordert § 107 Abs. 3 GWB lediglich die Angabe von Verstößen gegen Vergabevorschriften. Im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes sind an die Rüge daher nur geringe Anforderungen zu stellen (1. VK Bund, B. v. 16.06.2006 – Az.: VK 1-34/06; VK Hamburg, B. v. 03.11.2005 – Az.: VK BSU-3/05; VK Brandenburg, B. v. 16.12.2004 – Az.: VK 70/04; VK Arnsberg, B. v. 10.09.2004 – Az.: VK 1-15/2004). Damit ist der nunmehr gerügte Sachverhalt im Wesentlichen von der Rüge vom 08.02.2007 gedeckt.

Soweit die AA GmbH mit Schreiben vom 09.02.2007 gerügt hat, die Leistungsbeschreibung sei unvollständig, unklar, es handele sich um eine Softwareentwicklungs- statt Lieferausschreibung, die Ausschreibung bürde dem Bieter ein unzumutbares Wagnis dahingehend auf, dass der Bieter umfangreiche Planungleistungen zu erbringen und einen Wartungsvertrag auszuarbeiten habe, die Freizeichnungsklauseln in den Verdingungsunterlagen seien unzulässig, es sei nicht ersichtlich, ob ein dezentrales oder zentrales Serverkonzept verlangt werde, die Leistung sei überdimensioniert, das Wertungssystem sei nicht nachvollziehbar und die geforderten Deckungssummen der Haftpflichtversicherung seien unangemessen, hat die Antragstellerin behauptet, man habe hierzu erst positive Kenntnis am 07.02.2007 gehabt. Die Vergabekammer hat vorliegend keine konkreten Zweifel daran, dass diese Aussage unrichtig ist. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II.eb) verwiesen. Es muss aufgrund des Zeitpunktes des "Durcharbeitens" der Verdingungsunterlagen nicht notwendigerweise eine frühere positive Kenntnis der behaupteten Vergaberechtsverstöße vermutet werden. Auch diesbezüglich geht die erkennende Vergabekammer davon aus, dass die Rügeobliegenheit des § 107 Abs. 3 GWB erfüllt wurde.

ed) Rüge vom 14.02.2007

Die AA GmbH hat mit der Rüge vom 14.02.2007, per Fax am 14.02.2007 beim Auftraggeber eingegangen, im Wesentlichen ihren Rügevortrag wiederholt und konkretisiert. Als hinsichtlich der Zulässigkeit zu betrachtender neuer Rügevortrag ist lediglich anzusehen, dass beanstandet wird, es seien keine ausreichenden Raumpläne vorgelegt worden. Nach Ansicht der erkennenden Vergabekammer ist die Rüge präkludiert. Es ist der AA  GmbH. zuzugestehen, sie sei mit der Durcharbeitung der Verdingungsunterlagen am 07.02.2007 so weit gewesen, dass Vergaberechtsverstöße erkennbar gewesen seien. Das OLG Dresden sieht als Obergrenze eine Regelfrist für die Beanstandung von Vergabemängeln "durchschnittlichen Zuschnitts" von einer Woche an (OLG Dresden, Beschluss vom 06.04.2004, Az. WVerg 1/04).

Vorliegend kann für den geltend gemachten Verstoß diese Obergrenze keine Anwendung finden. Es ist nicht ersichtlich, warum der behauptete Vergabeverstoß nicht bereits mit Rüge vom 09.02.2007 gerügt wurde. Die Rüge vom 09.02.2007 lässt eine ausreichende Auseinandersetzung auch mit komplexen Fragen des Leistungsverzeichnisses erkennen. Vor dem Hintergrund ist es zu erwarten, dass eine recht einfach gelagerte Frage wie die Vorlage der Raumpläne unverzüglich, was vorliegend aufgrund der Einfachheit des Sachverhalts bedeutet, deutlich unterhalb einer Woche nach Durcharbeiten der Verdingungsunterlagen zu rügen ist. Das Nachschieben des behaupteten Vergaberechtsverstoßes ist nicht mehr vom Merkmal der Unverzüglichkeit gedeckt. Die Antragstellerin ist insweit mit diesem Vortrag präkludiert.

ef) Ausschlussgründe im Angebot der Beigeladenen

Einer Rüge hinsichtlich der Ausschlussgründe im Angebot der Beigeladenen im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB hat es vorliegend nicht bedurft. Der Antragstellerin kann nicht unterstellt werden, sie habe vor Beginn des Nachprüfungsverfahrens Kenntnis gehabt, dass hinsichtlich ihres und anderer Angebote zwingende Ausschlussgründe vorgelegen hätten. Die Antragstellerin bezieht sich insoweit auf die Kenntnis aus der gewährten Akteneinsicht. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist nach seinem Wortlaut und Sinn nur auf "im Vergabeverfahren", aber nicht auf erst "im Nachprüfungsverfahren" erkannte Vergaberechtsverstöße anwendbar. Daher entfällt die Rügeobliegenheit für solche Vergaberechtsfehler, die der antragstellenden Partei erst während des laufenden Vergabenachprüfungsverfahrens bekannt werden (VK Sachsen, Beschluss vom 11.08.2006 – 1/SVK/073-06, VK Sachsen, Beschluss vom vom 09.11.2006 – 1/SVK/095-06).

f)    Die in § 108 Abs. 2 GWB genannten Mindestanforderungen hat die Antragstellerin erfüllt.

2.    Der teilweise zulässige Antrag der Antragstellerin ist begründet.

Die Antragstellerin ist in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt.

2.1. Aufhebung des Vergabeverfahrens wegen Verstoßes gegen § 22 Nr. 3 lit. b) VOL/A

Dem Auftraggeber ist aufzugeben, die Ausschreibung aufzuheben, da die Angebote nicht auseichend gekennzeichnet wurden.

§ 22 Nr. 3 lit. b) S. 2 VOL/A fordert, dass die Angebote geöffnet und in allen wesentlichen Teilen einschließlich der Anlagen gekennzeichnet werden.

Eine mit Bleistift aufgetragene eingekreiste Ziffer auf den Angeboten erfüllt die Kennzeichnungspflicht entsprechend § 22 Nr. 3 VOL/A nicht. § 22 Nr. 3 VOL/A verlangt die Kennzeichnung der Angebote in allen wesentlichen Teilen einschließlich der Anlagen. Die Beschränkung auf "wesentliche Teile" bezieht sich auf alle Seiten, die später für den Vertragsinhalt von Bedeutung sind, d. h. vor allem der Preisangaben und alle sonstigen Erklärungen, die gemäß der Ausschreibung abzugeben waren. Die Kennzeichnung erfolgt üblicherweise durch Datierung und Lochung. Sie soll verhindern, dass nachträglich einzelne Bestandteile der Angebote ausgetauscht oder entfernt und damit die Angebote manipuliert werden (vgl. Müller-Wrede, Kommentar zur VOL/A, 1. Aufl., § 22 Rn. 9). Mit der Kennzeichnung soll auch der ordnungsgemäße, faire Wettbewerb sichergestellt werden (VK Sachsen, Beschluss vom 24.02.2005, 1/SVK/004-05). So hat der Auftraggeber in der mündlichen Verhandlung durch Frau xxx angegeben, die Kennzeichnung sei durch Herrn xxxx von der Auftragsberatungsstelle Sachsen e.V. bei Angebotsöffnung im Wege der Lochung durchgeführt worden. Vorliegend ist das Angebot der Beigeladenen nicht vollständig gekennzeichnet. Im Ordner 2 des Angebots wurde weder der Geschäftsbericht, noch die anliegende CD-Hülle gekennzeichnet. An diesen Unterlagen finden sich nicht die ansonsten in den Ordnern 1 und 2 des Angebots durchgeführten Lochkennzeichnungen. Dass diese wesentliche Bestandteile des Angebots der Beigeladenen sind, steht außer Streit. Die Beigeladene hat sich hinsichtlich der in der Vergabebekanntmachung und der Aufforderung zur Angebotsabgabe geforderten Umsatz- und Beschäftigtenzahlen sowohl im Anschreiben als auch im Vergabenachprüfungsverfahren auf den Geschäftsbericht bezogen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beigeladene darüber hinaus mitgeteilt, geforderte Angaben aus der Vergabebekanntmachung fänden sich auf der beigefügten CD-ROM, die in den Angebotsordner 2 eingeheftet gewesen sei. Darüber hinaus sind die Angebotsordner 3 und 4 der Beigeladenen gar nicht gekennzeichnet. Diese Ordner enthalten Datenblätter für die zu verwendenden Systemkomponenten. Das Angebot der Antragstellerin ist zudem nicht einheitlich gekennzeichnet. So findet sich hier zum einen bereits die benannte Lochkennzeichnung. Zum anderen wurden zwei unleserliche Namenskürzel verwendet. Wann diese letztgenannte Kennzeichnung durchgeführt wurde, erschließt sich nicht aus der Vergabeakte.

Die im Sinne vom § 22 VOL/A unterlassene Kennzeichnung der vorgelegten Angebote stellt einen gravierenden Vergaberechtsverstoß dar, der objektiv selbst durch eine Rückversetzung des Vergabeverfahrens auf den Zeitpunkt der Angebotseröffnung kein rechtmäßiges Vergabeverfahren mehr erwarten lässt. Damit können die entsprechend § 22 Nr. 3 VOL/A erforderlichen Feststellungen durch den Auftraggeber nicht mehr zweifelsfrei getroffen werden. Der Auftraggeber hat keine Möglichkeit bei einer Verpflichtung durch die Vergabekammer zur erneuten Prüfung der Angebote diesen Kennzeichnungsmangel zu heilen (VK Sachsen, Beschluss vom 24.02.2005, 1/SVK/004-05). Schon alleine aus diesem Grunde war das Vergabeverfahren aufzuheben.

Der Auftraggeber konnte der Vergabekammer auch nicht darlegen, dass er durch andere geeignete Maßnahmen gewährleistet hat, dass nachträgliche Fälschungen der Angebote verhindert oder zumindest erschwert werden und somit ein ordnungsgemäßer Wettbewerb sichergestellt war. Im Gegenteil. Vielmehr ist sogar von einer Verletzung des § 22 Nr. 6 Abs. 1 S. 1 VOL/A auszugehen. Demnach sind die Angebote und ihre Anlagen sorgfältig zu verwahren und vertraulich zu behandeln. In der mündlichen Verhandlung führte Frau xxxx, Mitarbeiterin des Auftraggebers aus, man habe nach Öffnung der Angebote, diese zur weiteren Auswertung Herrn xxx übergeben. Herr xxxxx, der Mitarbeiter der SXX & Co. KG ist, habe die weitere Wertung der Angebote vorgenommen und den Vergabevorschlag erarbeitet. Herr xxxx erklärte, er habe die Angebote in die Betriebsräume des Sxx-Konzerns in xxxx verbracht. Frau xxxxxx erklärte, man habe sich auch zuvor keine Kopien von den Angeboten gezogen. Insbesondere das Verbringen der Angebote in die Räume eines Konzerns, der über eine Beteiligung an FSYY als Lieferant für die Bieter der streitgegenständlichen Ausschreibung in Frage kommt und der ausweislich der Rügen vom 08.02.2007 und vom 09.02.2007 bereits in den Verdacht gekommen war, bevorzugter Hersteller der Ausschreibung zu sein, stellt einen schweren Vergabeverstoß dar, weswegen nicht von einer ordnungsgemäßen Verwahrung auszugehen ist. Hinzu kommt, dass der Auftraggeber die Gewalt über die Angebote komplett aus der Hand gegeben hat. Mangels gefertigter Kopien ist es dem Auftraggeber auch gar nicht mehr möglich, festzustellen, ob die vorliegenden Angebote tatsächlich den abgegebenen Angeboten entsprechen. Die Vergabekammer lässt insoweit die Frage offen, ob bereits diese schwerwiegenden Vergaberechtsverstöße für sich allein genommen die Aufhebung der Ausschreibung rechtfertigen würden, wofür vorliegend vieles spricht.

Insoweit ist der Vergabenachprüfungsantrag bereits aufgrund des zuvor Dargelegten begründet. Im Übrigen war er abzuweisen.

2.2. Verbot der Zuschlagserteilung, wenn alle Angebote an einem gleichwertigen Mangel leiden

Darüber hinaus stellt die erkennende Vergabekammer fest, dass dem Auftraggeber die Zuschlagserteilung an die Beigeladene zu untersagen wäre, wenn nicht bereits schon -wie oben festgestellt- die Ausschreibung aufzuheben wäre.

Die Vergabekammer stellt fest, dass auch alle anderen abgegebenen Angebote, insbesondere auch das Angebot der Beigeladenen an mindestens einem gleichwertigen Mangel leiden und deswegen zwingend auszuschließen gewesen wären. Demzufolge wäre, für den Fall, dass die erkennende Vergabekammer nicht festgestellt hätte, die Ausschreibung wäre aufzuheben, durch die erkennende Vergabekammer im Sinne der Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschluss vom 26.09.2006 – X ZB 14/06) ein Zuschlagsverbot zu Lasten des Angebots der Beigeladenen zu verfügen gewesen.

Wenn alle Angebote in bestimmter Hinsicht unvollständig und deshalb von der Wertung auszuschließen sind, kann auch ein Bieter, dessen Angebot an einem weiteren Ausschlussgrund leidet, verlangen, dass eine Auftragsvergabe in dem eingeleiteten Vergabeverfahren unterbleibt.

Demzufolge hatte die Vergabekammer zu prüfen, ob alle vorgelegten Angebote an gleichwertigen ausschlussrelevanten Mängeln leiden.

Der BGH (Beschluss vom 26.09.2006 – X ZB 14/06) lässt offen, was unter einem gleichwertigen Mangel zu verstehen ist. Aus diesem Grunde ist auch bei Kenntnis des Beschlusses des OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.02.2007 – 17 Verg 5/06) festzustellen, was unter einem gleichwertigen Mangel zu verstehen ist.

Hinsichtlich der Gleichwertigkeit des Mangels hält die erkennende Vergabekammer an Ihrer Auffassung im Beschluss vom 13.04.2006 (Az.:1/SVK/028-06), im Beschluss vom 09.11.2006 (1/SVK/095-06) und im Beschluss vom 03.01.2007 (1/SVK/111-06) fest, dass ein Mangel dann gleichwertig ist, wenn das Angebot des Bieters auf der gleichen Wertungsstufe auszuschließen ist. Die erkennende Vergabekammer ist der Ansicht, dass eine Vergabestelle in Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes auf jeder Wertungsstufe den gleichen Maßstab an die Wertung der abgegeben Angebote zu legen hat. Ein gleichwertiger Mangel liegt im Umkehrschluss auch dann vor, wenn das Angebot des sich auf die Gleichbehandlung berufenen Bieters auf einer späteren Wertungsstufe auszuschließen ist, Angebote andere Bieter hingegen bereits auf einer vorherigen Wertungsstufe auszuschließen sind. Insofern ist der Begriff gleichwertig als "mindestens" gleichwertig zu definieren (VK Sachsen, Beschluss vom 09.11.2006 – 1/SVK/095-06). Dem steht auch nicht die Entscheidung des OLG Rostock vom 05.07.2006, Az.: 17 Verg 7/06 nicht entgegen, weil im Wege der Amtsermittlung gegebenfalls zu klären ist, ob der Antragsteller überhaupt durch einen Vergaberechtsfehler in seinen Rechten betroffen sein kann, oder ob dies abzulehnen ist, weil das Angebot des Antragstellers nicht zuschlagsfähig ist.

Dass das Angebot eines Antragstellers nicht schon vom Auftraggeber ausgeschlossen worden ist, hindert die Vergabekammer nicht, im Ergebnis eines Vergabenachprüfungsverfahrens einen zwingenden Ausschlussgrund festzustellen. Denn zum einen obliegt der Vergabekammer ein Amtsermittlungsgrundsatz, zum anderen ist in Auslegung der Entscheidung des BGH, Beschluss vom 26.09.2006, Az: X ZB 14/06, davon auszugehen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bieter auch die Nachprüfungsinstanzen verpflichtet, die Angebote, die an einem gleichwertigen Mangel leiden, vergaberechtlich gleich zu behandeln (VK Sachsen, Beschluss vom 11.01.2007 – 1/SVK/116-06).
2.2.1. Betrachtung der Angebote der anderen Bieter hinsichtlich gleichwertiger Mängel

Zunächst hatte die erkennende Vergabekammer zur Feststellung des Vorliegens gleichwertiger Mängel aus Sicht der die Aufhebung begehrenden Antragstellerin bei Berücksichtigung der Mängel der vorliegenden Angebote festzustellen, welche Wertungsstufen für diese Beurteilung vorliegend relevant sind und insbesondere, welche Mängel auf welcher Stufe zu einem zwingenden Ausschluss führen würden:

Insgesamt wurden drei Angebote abgegeben.

I. Formale Angebotswertung ( 1. Wertungsstufe)

Ausschlussgründe gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A)

Das Angebot des dritten Bieters wurde wegen Änderung an den Verdingungsunterlagen nach § 25 Nr. 1 Abs. 1 d) i.V.m. § 21 Nr. 1 Abs. 4 VOL/A bereits vom Auftraggeber auf der ersten Wertungsstufe ausgeschlossen.

II. Eignungsprüfung

Die zum Nachweis der Eignung geforderten Belege unterfallen nicht dem Begriff der "Erklärungen" in § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 VOB/A (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.10.2005 – Verg 40/05).

a) Gewerbezentralregisterauszug

In der Vergabebekanntmachung war gefordert, einen "Auszug aus dem Gewerbezentralregister, nicht älter als 3 Monate" vorzulegen. Die AA GmbH hat jedoch einen Gewerbezentralregisterauszug vom 29.03.2006 vorgelegt.

aa) Zulässigkeit der Anforderung

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin war die Vorgabe, "Gewerbezentralregisterauszug nicht älter als 3 Monate" zwingend zu erfüllen. Soweit die Antragstellerin behauptet, es ergebe sich daraus ein Widerspruch, dass in den Verdingungsunterlagen gerade nicht diese Anforderung wiederholt wurde, vermag die erkennende Vergabekammer diesem nicht folgen. Gemäß § 7 Nr. 4 VOL/A zulässigerweise geforderte, aber mit dem Angebot nicht abgegebene Nachweise zur Zuverlässigkeit eines Bieters führen dazu, dass dieses Angebot von der Wertung zwingend auszuschließen ist, ohne dass es darauf ankommt, ob der Auftraggeber sich insoweit ein Ausschlussermessen vorbehalten oder sich, gleich in welchem Stadium der Wertung, auf diesen Ausschlussgrund berufen hat. Denn im vorliegenden Fall bringt schon die Vergabebekanntmachung selbst mit hinreichender Klarheit zum Ausdruck, welche Zuverlässigkeitsnachweise ein Bieter mit dem Angebot – vergaberechtskonform – vorzulegen hatte. (OLG Dresden, Beschluss vom 17.10.2006 – WVerg 15/06). Insoweit ist festzustellen, dass gerade die Vorgabe in der Vergabebekanntmachung bindend ist. Zwar wird auch die Auffassung vertreten, dass es sachgerecht und ganz herrschende Praxis sei, den Verdingungsunterlagen für das Verständnis der Verdingungsbedingungen aufgrund der Tatsache, dass die Verdingungsunterlagen der Veröffentlichung nachfolgen und die wesentlich eingehendere Befassung mit dem Beschaffungsvorhaben des Auftraggebers darstellen, gegenüber der Veröffentlichung den Vorrang zu geben (VK Düsseldorf, B. v. 22.7.2002 – Az.: VK-19/2002-L). Diesem kann sich die erkennende Vergabekammer jedoch im vorliegenden Einzelfall nicht anschließen. Zum einen formuliert § 7 a Nr. Abs 3 VOL/A ganz eindeutig die Pflicht gewisse Nachweise -wenn auch nicht die hier in Streit stehenden- in der Vergabebekanntmachung bekannt zu geben. Hieraus lässt sich die Verpflichtung des Bieters entnehmen, die Vorgaben der Vergabebekanntmachung genau zu beachten. Zum anderen ist vorliegend ein Widerspruch zu den Verdingungsunterlagen gerade nicht zu erkennen, selbst wenn die Antragstellerin behauptet, die Verdingungsunterlagen würden diesbezüglich ein "Minus" enthalten. Die Bieter hatten sich zunächst an die klar formulierte Vorgabe in der Vergabebekanntmachung zu halten. Entscheidungsgrundlage für einen Bewerber ist im Lichte der im folgenden dargestellten Rechtsprechung zur unterschiedlichen Angabe von Zuschlagskriterien in der Vergabebekanntmachung und den Verdingungsunterlagen ist die Bekanntmachung. Aus dieser entnimmt der Bewerber die zu erbringende Leistung, aber auch den von der Vergabestelle gesetzten Rahmen, u. a. die Kriterien für die Zuschlagserteilung. Wenn die Bekanntmachung und deren Inhalt aber die Entscheidungsgrundlage für einen potentiellen Bewerber bezüglich der Teilnahme am Wettbewerb ist, sind diese von der Vergabestelle gemachten Angaben auch im Vergabeverfahren beizubehalten. Dieses umso mehr, wenn andere Kriterien für die Zuschlagserteilung bei einem mehr in der Aufforderung zur Angebotsabgabe geeignet wären sich beteiligende Bewerber schlechter zu stellen als im Anwendungsfall der Kriterien aus der Bekanntmachung, bzw. im Umkehrfall bei einem weniger sich u. U. ein größerer Bewerberkreis an der Ausschreibung hätte beteiligen können (Wettbewerbseinschränkung durch Abschreckung). Dies bedeutet, dass in einem Fall der Nichtübereinstimmung von Kriterien für die Zuschlagserteilung laut Bekanntmachung und Aufforderung zur Angebotsabgabe diejenigen der Bekanntmachung zur Anwendung zu kommen haben (VK Schleswig-Holstein, B. v. 12.07.2005 – Az.: VK-SH 14/05; 1. VK Sachsen, B. v. 17.06.2005 – Az.: 1/SVK/058-05; VK Thüringen, B. v. 28.11.2002 – Az.: 216-4002.20-057/02-EF-S).

Bei entsprechenden Zweifeln wären die Bieter gehalten gewesen, diese unverzüglich gegenüber dem Auftraggeber zu rügen. Bis Angebotsabgabe wurde von keinem Bieter eine entsprechende Rüge erhoben. Zudem haben ja auch beide Mitglieder der Antrag stellenden Bietergemeinschaft einen Gewerbezentralregisterauszug- wenn auch im Fall der AA GmbH., einen veralteten- vorgelegt. Insoweit kann sich die Antragstellerin gerade nicht darauf berufen, es sei anhand der Verdingungsunterlagen nicht erkennbar gewesen, dass ein Gewerbezentralregisterauszug gefordert gewesen sei.

Soweit sich die Antragstellerin darauf bezieht, in den Verdingungsunterlagen finde sich kein Bezug zur Vergabebekanntmachung, so ändert dies nichts an der Tatsache, dass ein aktueller Gewerbezentralregisterauszug zwingend gefordert war. Zwar hat der Auftraggeber tatsächlich die Vorschrift des § 9 a Nr. 1 S. 1 lit. a VOL/A verletzt, in dem er in der Aufforderung der Angebotsabgabe keinen Hinweis auf die veröffentlichte Bekanntmachung gegeben hat. Die erkennende Vergabekammer ist im Hinblick auf die bereits benannte Rechtsprechung zur unterschiedlichen Angabe von Zuschlagskriterien in der Vergabebekanntmachung und den Verdingungsunterlagen im vorliegenden Einzelfall der Auffassung, dass sich der fehlende Hinweis gerade nicht auf die Rechte der Antragstellerin auswirkt. Zum einen hatte der jeweilige Bieter Kenntnis von der Vergabebekanntmachung, denn auf deren Grundlage hat er ja nun die Verdingungsunterlagen abgefordert. Zum anderen ist festzuhalten, dass eine fehlende Bezugnahme auf die Vergabebekanntmachung im Hinblick auf die bereits zitierte Rechtsprechung zu unterschiedlichen Angaben von Zuschlagskriterien in der Bekanntmachung und den Verdingungsunterlagen allenfalls dazu führen könnte, dass der Bieter von unterschiedlichen Anforderungen in beiden Unterlagen auch hinsichtlich der Eignungsnachweise ausgeht, da in der Aufforderung zur Angebotsabgabe keine Bezugnahme auf die Bekanntmachung enthalten war. In diesem Fall wäre jedoch der Bieter gehalten, dies unverzüglich zu rügen. Insoweit wird auch auf die oben getätigten Aussagen verwiesen, dass im vorliegenden Einzelfall die Anforderung in der Vergabebekanntmachung maßgeblich ist. Im Übrigen haben offenkundig die Antragstellerin und die Beigeladene die Anforderungen dahingehend verstanden, dass die Anforderung in der Vergabebekanntmachung bindend ist und tatsächlich einen Gewerbezentralregisterauszug vorgelegt.

ab) Gleichwertigkeit der Präqualifizierungsbestätigung der Auftragsberatungsstelle Sachsen e.V.

Soweit die Antragstellerin der Auffassung ist, die Anforderung sei unzulässig, da die Präqualifizierungsbestätigung der Auftragsberatungsstelle nur einmal jährlich aktualisiert werden müsse, so kann die erkennende Vergabekammer diesem nicht folgen. Zum einen war die alternative Vorlage ausdrücklich in der Vergabebekanntmachung gestattet. Sofern die Antragstellerin hierdurch eine Abweichung der übrigen Anforderungen als begründet hätte ansehen können, so wäre sie gehalten gewesen, dieses im Sinne des § 107 Abs. 3, Satz 2 GWB unverzüglich zu rügen. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Darüber hinaus hat der Auftraggeber schriftsätzlich dargelegt, dass die Präqualifizierungsstelle intern für eine 3-Monatige Aktualisierung der Gewerbezentralregisterauszüge der eingetragen Bieter sorgt und der Auftraggeber auf Anfrage entsprechenden Zugriff auf die Daten hat. Insofern kommt die Vergabekammer aufgrund der alternativen Möglichkeit der Vorlage einer Präqualifizierungsbestätigung zu dem Schluss, die Vorlage eines aktuellen Gewerbezentralregisterauszuges habe keine Gültigkeit. Eine entsprechende Präqualifizierungsbestätigung wurde von der Antragstellerin nicht vorgelegt.

ac) Vorlage des Gewerbezentralregisterauszuges durch jedes Mitglied der Bietergemeinschaft

Der Gewerbezentralregisterauszug als Nachweis der Zuverlässigkeit war von jedem Mitglied der Bietergemeinschaft vorzulegen. Ohne besondere entgegenstehende Anhaltspunkte ist regelmäßig davon auszugehen, dass es bei einer Bietergemeinschaft ausreichend ist, wenn geforderte Nachweise oder Eigenerklärungen zur Fachkunde oder zur Leistungsfähigkeit für ein Mitglied der Bietergemeinschaft vorgelegt werden, während die Zuverlässigkeit von jedem Mitglied der Bietergemeinschaft in der geforderten Art zu belegen ist (OLG Naumburg, Beschluss vom 30.04.2007 – 1 Verg 1/07). Damit war von beiden Mitglieder gesondert ein aktueller Gewerbezentralregisterauszug vorzulegen.

ad) Zwischenergebnis

Die Antragstellerin hat nicht den geforderten Gewerbezentralregisterauszug vorgelegt.

b) geforderte Umsatzzahlen

Sowohl in der Vergabebekanntmachung als auch in der Aufforderung zur Angebotsabgabe war gefordert, Angaben zum Gesamtumsatz des Unternehmens in den letzten 3 Geschäftsjahren im Sinne des § 7 a Nr. 3 Abs. 1 lit. d) VOL/A zu tätigen.
 
Die Beigeladene verwies in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Umsatzzahlen auf den Geschäftsbericht der Konzernmutter, der mit Angebotsabgabe vorgelegt wurde. In der mündlichen Verhandlung bestätigte die Beigeladene, dass das Geschäftsjahr das Kalenderjahr sei. Im Übrigen habe sie keine Umsatzzahlen aus dem Jahr 2006 vorgelegt. Damit ist festzustellen, dass die Anforderung nicht erfüllt wurde. Die drei letzten Geschäftsjahre sind die Jahre 2004, 2005 und 2006. Eine Gleichbehandlung aller Bieter ist nur gewahrt, wenn diese Umsatzzahlen für den gleichen Zeitraum vorlegen. Die Antragstellerin hat Umsatzzahlen für 2004, 2005 und 2006 vorgelegt.

Soweit die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vorträgt, zum Zeitpunkt der Ausschreibung habe der Geschäftsbericht 2006 noch nicht vorgelegen und die Daten für das zurückliegende Geschäftsjahr würden erst im Mai des darauffolgenden Jahres bekannt gegeben, so ändert dies nichts an der Einschätzung der Vergabekammer. Zum einen sind dies zunächst interne Betriebsabläufe der Beigeladenen, zum anderen wäre die Beigeladene gehalten gewesen, unverzüglich zu rügen, dass die Angabe der Umsatzzahlen von 2006 nicht zumutbar sei. In entsprechender Anwendung des § 107 Abs. 3 GWB ist die Beigeladene nunmehr mit diesem Einwand präkludiert und braucht nicht mehr dazu gehört zu werden.

Damit hat die Beigeladene nicht die geforderten Umsatzzahlen benannt.

Insoweit kam es nicht mehr darauf an, ob die geforderten Umsatzzahlen inhaltlich den Anforderungen entsprechen. Zunächst wurden nur Umsatzzahlen des Mutterkonzerns vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, der Einzelumsatz der Beigeladenen ergebe sich aus der beigefügten CD-ROM und zwar nicht unter der Bezeichnung der Beigeladenen, sondern unter der Bezeichnung "operatives Geschäftsfeld, Geschäftskunden". Des Weiteren blieb strittig, ob die Beigeladene die Anforderung, "Angaben, aus denen das jährliche Mittel der vom Leistungserbringer in den letzten 3 Geschäftsjahren Beschäftigten und die Anzahl der leitenden Angestellten ersichtlich ist", erfüllt hat. In Anbetracht der nicht benannten Umsatzzahlen für 2006 kann jedoch auch dahinstehen, ob die entsprechenden Anforderungen erfüllt wurden. Im Übrigen war der Geschäftsbericht gerade nicht durch Kennzeichnung gelocht.

2.2.2. Gleichwertige ausschlussrelevante Mängel

Damit steht für die erkennende Vergabekammer fest, dass alle Angebote an einem zumindest gleichwertigen Mangel leiden. Diese führen auch zum zwingenden Angebotsausschluss.

Der dritte Bieter wurde bereits durch den Auftraggeber auf der ersten Wertungsstufe ausgeschlossen.

Die Antragstellerin und die Beigeladene sind zwingend auf der Zweiten Wertungsstufe auszuschließen.

Die genannten fehlenden Nachweise waren laut Vergabebekanntmachung dem Angebot beizufügen. Das Transparenzgebot des § 97 GWB erfordert es, dass der Bieter erkennen kann, auf welcher Grundlage die Wertung der Angebote erfolgt (Urteil des EuGH (Sechste Kammer) vom 12. Dezember 2002; Rechtssache C-470/99). Fordert der Auftraggeber bestimmte Nachweise und Erklärungen, unterwirft er sich hinsichtlich dieser Nachweise einer Selbstbindung (VK Sachsen, Beschluss vom 25.04.2006 – 1/SVK/031-06). Sehen die Ausschreibungsunterlagen durch die Formulierung "sind vorzulegen" vor, dass die Bieter ihre Eignung zur Auftragsdurchführung innerhalb der Frist zur Angebotsabgabe nachzuweisen haben, zieht die unterbliebene oder nicht rechtzeitige Vorlage der damit zwingend geforderten Eignungsnachweise zwangsläufig den Ausschluss des betroffenen Angebots nach sich. Ermessen steht dem Auftraggeber nicht zu (VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16.09.2005, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.01.2005 – Verg 58/04). Aus der Vergabebekanntmachung ergibt sich zweifelsfrei, dass der Gewerbezentralregisterauszug mit Angebotsabgabe vorzulegen war. Aus der Vergabebekanntmachung und der Aufforderung zu Angebotsabgabe ergibt sich auch zweifelsfrei, dass die Umsatzzahlen mit Angebotsabgabe vorzulegen waren.

Der Auftraggeber darf zum Beispiel nicht, wenn er die Vorlage bestimmter Unterlagen als Mindestanforderung verlangt, zugunsten eines Bieters auf die Erfüllung der Mindestanforderung verzichten. Ein solcher Verzicht wäre gegenüber anderen Bietern, die die Mindestanforderung erfüllen, oder gegenüber solchen Bietern, die von der Teilnahme an der Ausschreibung abgesehen haben, weil sie die Mindestanforderung nicht erfüllen können, ein Vergaberechtsverstoß (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Juni 2002 – Verg. 26/02 ; OLG Celle, Beschluss vom 12.05.2005 – 13 Verg 5/05).

2.2.3. Zwischenergebnis

Der Vergabenachprüfungsantrag ist -sofern nicht wie vorliegend die Aufhebung der Ausschreibung durch die Vergabekammer zu veranlassen wäre- im Hinblick auf die Untersagung der Zuschlagserteilung an die Beigeladene zulässig und begründet. Die Angebote aller Bieter waren im Hinblick auf gleichwertige Mängel zwingend auszuschließen.

Die Antragstellerin wird dadurch in ihren Rechten betroffen, dass der Auftraggeber unter Missachtung der vorstehend erörterten Regeln für das Vergabeverfahren den Auftrag an die Beigeladene erteilen will. Es ist aber gerade Sinn des § 97 Abs. 7 GWB, Unternehmen das materielle Recht zu geben, Nachteile zu unterbinden, die sich aus der Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren ergeben können. Die Verletzung der Antragstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass deren Angebot angesichts weiterer Abweichungen von der Ausschreibung in jedem Fall von der Wertung im eingeleiteten Vergabeverfahren ausgeschlossen werden muss, also ein allein auf diese anderen Abweichungen gestützter, von dem Auftraggeber ausgesprochener Ausschluss des Angebots der Antragstellerin rechtmäßig wäre (BGH, Beschluss vom 26.09.2006 – X ZB 14/06).

Dabei muss es für die Feststellung der Rechtsverletzung als ausreichend angesehen werden, dass das Angebot der Antragstellerin und aller anderen Bieter zwingend auszuschließen gewesen wäre, der Auftraggeber dies jedoch nicht getan hat. Bei Herstellung vergaberechtsgemäßer Zustände müssten vorliegend alle Angebote zwingend ausgeschlossen werden. Demnach kann auch ein Bieter, dessen Angebot zu Recht ausgeschlossen wird, dessen Angebot zu Recht ausgeschlossen werden kann oder dessen Angebot ausgeschlossen werden muss, kann deshalb in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt sein, wenn ein anderes Angebot trotz Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren nicht ausgeschlossen wird und den Zuschlag erhalten soll oder wenn sich der beabsichtigte Zuschlag aus einem anderen Grund verbietet (BGH, Beschluss vom 26.09.2006 – X ZB 14/06).

2.3. Keine eigene Wertungsentscheidung des Auftraggebers

Zudem stellt die erkennende Vergabekammer fest, dass der Auftraggeber sich vergaberechtswidrig verhalten hat, indem er nicht selbst die Wertung vorgenommen hat und die Antragstellerin hierdurch in ihren Rechten verletzt ist.

Der Auftraggeber hat die Wertung der Angebote nach § 25 VOL/A selbst vorzunehmen.

Der Auftraggeber kann im Vergabeverfahren eine Beratung durch Sachverständige in Anspruch nehmen. Sie darf aber nicht alle Entscheidungen in dem Verfahren an den Berater delegieren und ihre Mitwirkung an dem Verfahren auf das "Abnicken" beschränken. Sie muss die Angebote prüfen und über eigenverantwortlich mögliche Ausschlussgründe und den Zuschlag entscheiden (VK Brandenburg, Beschluss vom 07.04.2006 – 2 VK 10/06).

Der durch Herrn xxxxx im Namen des CCC gefertigte Vergabevorschlag wurde unverändert dem Kreisausschuss zur Entscheidung vorgelegt. Zwar führte Frau xxxx, Mitarbeiterin des Auftraggebers, aus, diesen Vergabevorschlag des CCC habe sie gedanklich durchgearbeitet und habe hierzu noch mehrere Telefonate mit Herrn xxxxx und auch mit Herrn xxxxx geführt, was gedanklich in diesen Vergabevorschlag eingeflossen sei. Eine neue sprachliche Überarbeitung habe sie allerdings nicht vorgenommen. Die erkennende Vergabekammer stellt fest, dass der Vergabevorschlag, der von Herrn xxx unterzeichnet wurde, ohne jegliche Änderung lediglich unter Ausblenden der Unterschriftsleiste des Herrn xxxx durch Frau xxx an den Kreisausschuss weitergeleitet wurde und damit Grundlage der Vergabeentscheidung gewesen ist. Damit ist keinerlei eigene gedankliche Leistung des Auftraggebers im Vergabevorschlag dokumentiert worden. Und es liegt keine eigene Wertungsentscheidung des Auftraggebers im Sinne des § 25 VOL/A vor. Der Auftraggeber hat den von Herrn xxxxx erarbeiteten Wertungsvorschlag lediglich "abgenickt". Die Antragstellerin ist hierdurch auch in eigen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt, da sie Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Wertung durch den Auftraggeber hat.

3.   Weitere Hinweise

Schließlich weist die Vergabekammer hilfsweise zur Vermeidung weiterer Vergabenachprüfungsverfahren auf folgendes hin:

3.1. Ausschluss von Herrn xxxxx und Herrn xxxxx nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 b VgV

§ 16 Abs. 1 Nr. 3 b VgV setzt voraus, dass die betroffenen Personen als Beauftragter oder als Mitarbeiter eines Beauftragten des Auftraggebers tätig geworden sind. Wie sich aus der Vergabeakte und aus den Erkenntnissen der mündlichen Verhandlung ergibt, haben beide Personen das Vergabeverfahren maßgeblich durch beratende und entscheidende Funktionen betreut und begleitet. Herr xxxx wurde hierbei über einen Beratervertrag mit dem CCC tätig. Herr xxxx, der nicht Mitglied des CCC ist, wurde nach den Erkenntnissen der mündlichen Verhandlung ohne einen Beratungsvertrag tätig. Der Auftraggeber gab insoweit an, man sei fälschlicherweise davon ausgegangen, Herr xxxxx gehöre zum CCC. Beide Personen sind Mitarbeiter der SX xx & Co. KG, die eine Tochter der SXX AG ist. Sie wurden für die Tätigkeit im Vergabeverfahren von ihrem Arbeitgeber freigestellt.

Weitere Voraussetzung des § 16 Abs. 1 Nr. 3 b VgV ist, dass die auszuschließenden Personen bei Entscheidungen in einem Vergabeverfahren mitgewirkt haben. Auch dies kann eindeutig bejaht werden. So sollte der CCC durch Herrn XXX u.a. die Erstellung der Leistungsbeschreibung, Wertung der Angebote, Vorbereitung des Vergabevorschlags, Kontrolle der Leistungsdurchführung, Abnahme, Rechnungsprüfung durchführen. Herr xxxx war an der Vorbereitung der Ausschreibung maßgeblich beteiligt. Er wurde in die Erstellung der Leistungsbeschreibung einbezogen und nahm die Vor-Ort-Termine wahr. Die Durchführung entsprechender Tätigkeiten, insbesondere das Bearbeiten von Bieterrügen als auch die Erarbeitung des Wertungsvorschlages sind in der Vergabeakte dokumentiert.

Weitere Voraussetzung des § 16 Abs. 1 Nr. 3 b VgV ist, dass die Personen für ein in das Vergabeverfahren eingeschaltetes Unternehmen tätig ist, wenn dieses Unternehmen zugleich geschäftliche Beziehungen zum Auftraggeber und zum Bieter oder Bewerber hat.

Vorliegend kann es in Anbetracht der Tatsache, dass die Ausschreibung aufgrund schwerwiegender Vergabeverstöße aufzuheben ist, letztlich dahinstehen, ob diese Voraussetzung tatsächlich erfüllt ist.

Hinsichtlich künftiger Vergabeverfahren seien im Hinblick darauf folgende Bedenken geäußert.

Es erheben sich Zweifel an der Funktion und Neutralität des Beratungsvereins CCC.

Herr xxxx gab in der mündlichen Verhandlung an, dass er während der Arbeitszeit eine rein ehrenamtliche Tätigkeit für den Verein CCC übernehme. Dies würde bei SX als Sponsoring verstanden werden. Auf Fragen der Vergabekammer, wie man sich die Geschäftsräume des CCC vorstellen müsste, führte Herr xxx aus, in den Räumen eines Call-Centers in xxxx, stehe ein Aktenschrank, der sozusagen das beinhalte, was CCC betreffe. Man würde sich nicht an den Mieten der Geschäftsräume beteiligen. Herr xxxx sei kein Vereinsmitglied, sondern schlicht Mitarbeiter von SX.

In Rede stehen zudem Geschäftsbeziehungen der Beigeladenen mit FSX.

Das Unternehmen FSX Computers hat die xxxxxxxx. und SX AG.

Ausweislich der durch die Beigeladene mit dem Angebot vorgelegten Eignungsnachweise besteht zwischen der Beigeladenen und FSYY eine zertifizierte Partnerschaft als Corporate Partner.

Im Übrigen ist es nach Ansicht der Vergabekammer als unstreitig anzusehen, dass FSxx maßgeblich als Hersteller für die streitgegenständliche Ausschreibung in Betracht kommt.

§ 16 VgV regelt die Voreingenommenheit von natürlichen Personen, die auf Auftraggeberseite die Entscheidungen des Vergabeverfahrens beeinflussen. Für die Anwendung des § 16 VgV ist also entscheidend, dass sich die widerstreitenden Interessen des Auftraggebers und des Bieters/Bewerbers in einer natürlichen Person treffen, nicht in einer organisatorischen Einheit. VK Sachsen, Beschl. v. 29.5.2002, 1/SVK/44-02, 7.(Ingenstau/Korbion/Müller-Wrede, 15. Aufl., § 16 VgV Rdn. 1 – 3").

Aus diesem Grunde ist es nach Ansicht der erkennenden Vergabekammer folgerichtig, einen Interessenkonflikt der natürlichen Person auch dann anzunehmen, wenn die auszuschließende Person für ein in das Vergabeverfahren eingeschaltetes Unternehmen tätig ist und für ein Unternehmen tätig ist, das zugleich geschäftliche Beziehungen zum Auftraggeber und zum Bieter oder Bewerber hat. Zum einen wirkt sich die Interessenlage dahingehend aus, dass die natürliche Person ja nunmehr zwei Herren dient, die ggf. widerstreitende Interessen haben. Die natürliche Person kann auch für sich keine Sicherungsmaßnahmen treffen, dass Informationen in einem abgegrenzten Bereich verbleiben.

Zum anderen würde bei anderer Betrachtung einer Umgehung des § 16 Abs. 1 Nr. 3 b) VgVTür und Tor geöffnet. So wäre es dann möglich, unter Gründung oder Mitwirkung eines weiteren Unternehmens oder im Hinblick auf eine Nebentätigkeit der natürlichen Person an der Vergabe des öffentlichen Auftraggebers mitzuwirken.

Liegt ein Interessenkonflikt – z. B. aufgrund einer doppelten Beschäftigung – vor, wird eine Voreingenommenheit – widerlegbar – vermutet. Das Mitwirkungsverbot ist lediglich dann unbeachtlich ("es sei denn"), wenn dadurch für die betroffene Person kein Interessenkonflikt besteht oder sich die Tätigkeiten auf die Entscheidungen im Vergabeverfahren nicht auswirken (Kausalität). Die Beweislast hierfür trägt der Auftraggeber (VK Lüneburg, B. v. 14.06.2005 – Az.: VgK-22/2005). Sind dann konkrete Anhaltspunkte für das Fehlen eines Interessenkonflikts oder eine mangelnde Einflussnahme nicht ersichtlich, ist eine Voreingenommenheit zu unterstellen und von einem Verstoß gegen § 16 VgV auszugehen (VK Hamburg, B. v. 25.7.2002 – Az.: VgK FB 1/02).

Vorliegend kann es jedoch in Anbetracht der durch die Vergabekammer verfügten Aufhebung des Vergabeverfahrens dahinstehen, ob die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 3 b VgV vorliegen.

3.2. Mögliche Interessenkollisionen

Im Hinblick auf zukünftige Vergabeverfahren ist sicherzustellen, dass bei weiteren Vergabeentscheidungen keine Interessenkollisionen dadurch entstehen, dass in den entsprechenden Gremien des Kreistags Mitglieder über die zu vergebenden Aufträge mitentscheiden, die gleichzeitig Geschäftsführer avisierter Subunternehmer o.ä. sind.

III.

Als unterliegende Partei trägt der Auftraggeber die Kosten des Verfahrens (§ 128 Abs. 3 Satz 1 GWB) einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin (§ 128 Abs. 4 Satz 2 GWB). Auch im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 18.12.2006 (Az. Verg 43/06) war festzustellen, dass die Antragstellerin sinngemäß auch mit ihren Anträgen, die sich nicht auf die Aufhebung gerichtet haben, materiell durchgedrungen wäre. Die Beigeladene hat in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt. Damit nimmt sie nicht am Kostenrisiko teil und kann keine Erstattung ihrer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen verlangen (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 02.08.2004 – 6 Verg 15/03). Die Höhe der Gebühr bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der erkennenden Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstandes des Nachprüfungsverfahrens (§ 128 Abs. 2 GWB). Der Gesetzgeber hat mit dieser an § 80 Abs. 2 GWB angelehnten Regelung klargestellt, dass – wie im Kartellverwaltungsverfahren – vorrangig auf die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens abzustellen ist (Kollmorgen in Langen/Bunte GWB, 8. Auflage 1998, § 80 Rdnr. 18). Die Vergabekammern des Bundes haben eine zum 01.01.2003 überarbeitete Gebührenstaffel erarbeitet, die die erkennende Vergabekammer im Interesse einer bundeseinheitlichen Handhabung übernimmt. Diese Staffel sieht in Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Hintergrund der Antragstellerin (vorliegend der Wert des Angebots der Antragstellerin) eine Gebühr in Höhe von xxxx € vor. Dieser Betrag kann entsprechend § 128 Abs. 2 Satz 2 ermäßigt werden, ggf. bis auf ein Zehntel. Als Gründe einer Ermäßigung sind dabei nur solche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Bedeutung sowie dem erforderlichen Verwaltungsaufwand stehen (vgl. Boesen, a.a.O., Rn. 16 ff. zu § 128). Gründe, die dies rechtfertigten, waren hier nicht gegeben. Der Auftraggeber ist allerdings gem. § 8 VerwKostG von der Zahlung der Gebühren in diesem Verfahren befreit. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Antragstellerin war gemäß § 128 Abs. 4 S. 2 GWB i. V. m. § 80 VwVfG notwendig. Beim Vergaberecht handelt es sich auch aufgrund vielfältiger europarechtlicher Überlagerung um eine wenig übersichtliche und zudem stetigen Veränderungen unterworfene Rechtsmaterie, die wegen des gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahrens bei der Vergabekammer bereits prozessrechtliche Kenntnisse verlangt. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten ist dabei nach den individuellen Umständen des einzelnen Nachprüfungsverfahrens zu beurteilen. Vorliegend war eine erhöhte rechtliche Schwierigkeit dahingehend gegeben, dass neben der ohnehin umfassenden Rechtsproblematik des europäischen Vergaberechtes auch Fragen der aktuellen Rechtsprechung vertiefend Gegenstand des Verfahrens waren.

IV.

Gegen die Entscheidungen der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen ist gem. § 116 Abs. 1 GWB die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt (§ 117 Abs. 1 GWB), schriftlich beim Beschwerdegericht einzulegen. Beschwerdegericht für die 1. Vergabekammer des Freistaates ist das OLG Dresden, Vergabesenat, Schlossplatz 1, 01067 Dresden. Die Beschwerde muss zugleich mit ihrer Einlegung begründet werden (§ 117 Abs. 2 GWB. Die Beschwerdebegründung muss enthalten: die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Kammer angefochten wird und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt. Die Beschwerdeschrift muss durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerdeschrift zu unterrichten. Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist.

Kadenbach                    Kühne            Prof. Dr. Dammert

Kein Behandlungsfehler bei Verabreichung eines in Deutschland noch nicht zugelassenen Medikaments

 
Allein die Verabreichung des noch nicht in Deutschland zugelassenen Medikaments stellt noch keinen Behandlungsfehler dar.
 
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs darf die Anwendung einer neuen Behandlungsmethode erfolgen, wenn die verantwortliche medizinische Abwägung und ein Vergleich der zu erwartenden Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohles des Patienten die Anwendung der neuen Methode rechtfertigt.

Jedoch unterscheidet sich die Anwendung neuer Behandlungsmethoden die Vornahme von Heilversuchen an Patienten mit neuen Medikamenten herkömmlichen, bereits zum medizinischen Standard gehörenden Therapien vor allem dadurch, dass in besonderem Maße mit bisher unbekannten Risiken und Nebenwirkungen zu rechnen ist. Deshalb erfordert die verantwortungsvolle medizinische Abwägung einen – im Verhältnis zur standardgemäßen Behandlung – besonders sorgfältigen Vergleich zwischen den zu erwartenden Vorteilen und ihren abzusehenden oder zu vermutenden Nachteilen unter besonderer Berücksichtigung des Wohles des Patienten. Diese Abwägung muss während der Behandlung wiederholt vorgenommen werden.

 
 

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

VI ZR 55/05

Verkündet am:
27. März 2007

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 2. Februar 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, der seit seiner frühen Kindheit an Epilepsie leidet, nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen Behandlungs- und Aufklärungsfehlern im Zusammenhang mit der Verabreichung eines neuen Medikaments der Streithelferin der Beklagten in Anspruch, weil dieses bei ihm zu irreparablen Augenschäden geführt habe.

Die Beklagte zu 1 ist Trägerin eines Epilepsiezentrums, in dem der Kläger seit 1985 von dem dort als Arzt angestellten Beklagten zu 2 medikamentös behandelt wurde. Nachdem der Kläger 1989 eine ihm vorgeschlagene neurologische Operation zur Reduzierung der Zahl seiner Anfälle (monatlich etwa 4 bis 10) abgelehnt hatte, schlug ihm der Beklagte zu 2 Ende September 1991 vor, neben dem bisher verabreichten Medikament P. zur Reduzierung der Anfallsneigung ein neues, in den USA entwickeltes Medikament V. einzunehmen. Dieses war zu diesem Zeitpunkt weder in den USA noch in Deutschland, jedoch in einigen anderen europäischen Staaten als Arzneimittel zugelassen. Eine bei der Beklagten zu 1 laufende klinische Prüfung mit den Phasen I bis IV, in welche der Kläger nicht einbezogen wurde, befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Phase III. Durch die Einnahme des neuen Medikaments, dem weder ein Beipackzettel beigefügt noch auf dessen Verpackung Hersteller oder Inhaltsstoffe vermerkt waren, reduzierte sich die Zahl der epileptischen Anfälle beim Kläger deutlich. Am 19. Dezember 1991 erfolgte die Zulassung des Medikaments in Deutschland, wo es die Streithelferin der Beklagten inzwischen unter dem Namen S. vertreibt. In der Anlage zum Zulassungsbescheid ("Wortlaut der für die Verpackungsbeilage vorgesehenen Angaben") wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass Langzeitauswirkungen von V. auf das visuelle System und okulomotorische Leistungen (Sehfunktion) beim Menschen noch nicht untersucht worden seien, weshalb periodische (z.B. monatliche) Kontrollen des Sehvermögens angezeigt seien.

Ende März/Anfang April 1992 stellte der Kläger eine Beeinträchtigung seines Sehvermögens fest und begab sich deshalb in die Behandlung eines Augenarztes. Als sich die Beeinträchtigung nach einem Anfall am 10. April 1992 verschlimmerte, überwies ihn der Augenarzt an die Universitäts-Augenklinik F., wo der Kläger vom 16. bis 27. April 1992 ambulant behandelt wurde. Vor Beginn der ambulanten Behandlung rief der Kläger den Beklagten zu 2 am 15. April 1992 an und berichtete ihm von den seit dem 13. April 1992 aufgetretenen Sehstörungen auf dem linken Auge sowie von der bevorstehenden Untersuchung in der Universitäts-Augenklinik. Der Beklagte zu 2 bat den Kläger daraufhin, ihn am 21. April 1992 telefonisch über das Ergebnis der Untersuchungen zu benachrichtigen. Mit Schreiben vom 4. Mai 1992 an Dr. D., den damaligen Mitarbeiter des Beklagten zu 2, berichtete die Universitäts-Augenklinik über die Untersuchungen und Behandlung des Klägers, teilte als Diagnose eine "AION" (anteriore ischämische Opticusneuropathie) mit und äußerte den Verdacht, dass diese medikamenteninduziert sei.

Der Kläger wurde anschließend vom 28. April 1992 bis zum 9. Juli 1992 stationär im Epilepsiezentrum der Beklagten zu 1 behandelt. Dabei erhielt er zunächst weiter das Medikament V. und wegen der Sehstörungen Cortison. Der Beklagte zu 2 veranlasste – nach einem Telefonat mit dem medizinischen Leiter der Streithelferin der Beklagten – die Durchführung eines Lymphozytentransformationstests (LTT) an der Universitätsklinik T., wo eine dafür erforderliche Blutprobe des Klägers am 8. Mai 1992 einging. Nach einer telefonischen Information über das Ergebnis wurde am 27. Mai 1992 die Verabreichung des Medikaments V. beendet und auch auf einen in den Krankenakten unter dem 2. Juli 1992 dokumentierten Wunsch des Klägers, wieder das Medikament S. zu erhalten, nicht mehr fortgesetzt.

Der Kläger führt seine bleibende Augenschädigung und den damit verbundenen Verlust seines Arbeitsplatzes als Lagerist auf schädliche Nebenwirkungen des ihm verabreichten Medikaments V. (S.) zurück und behauptet, weder vor Beginn der Behandlung über die fehlende Zulassung des Medikaments, noch während der Behandlung über dessen Risiken, insbesondere nach dem Eintreten von Sehstörungen, aufgeklärt worden zu sein. Hätte er von Anfang gewusst, dass eine Zulassung des Medikaments noch nicht vorgelegen habe, hätte er von einer Einnahme Abstand genommen. Des Weiteren wirft der Kläger dem Beklagten zu 2 einen für seine Augenschädigung ursächlichen (groben) Behandlungsfehler vor, weil dieser das Medikament nach dem Auftreten von Sehstörungen nicht sofort abgesetzt habe.

Das Landgericht hat die auf Schmerzensgeld in vorgestellter Größenordnung von 35.790,43 EUR, Verdienstausfall vom 1. April 1993 bis zum 31. Dezember 2004 in Höhe von 65.942,84 EUR und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, es spreche zwar viel dafür, dass die Einnahme des Medikaments V. die Augenschäden des Klägers verursacht habe. Dies könne jedoch letztlich offen bleiben, weil sich auch bei unterstellter Ursächlichkeit keine Haftung der Beklagten wegen Behandlungs- und Aufklärungsfehlern ergebe. Bei der Entscheidung Ende September 1991, dem Kläger das zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugelassene Medikament V. zu verabreichen, habe der Beklagte zu 2 lediglich gewusst, dass Langzeitauswirkungen dieses Mittels auf das visuelle System und okulomotorische Leistungen (Sehvermögen) beim Menschen noch nicht untersucht gewesen seien. Dagegen hätten keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass ihm irgendetwas über aufgetretene Gesichtsfeldstörungen nach Einnahme des Medikaments bekannt gewesen sei oder hätte sein müssen. Der Beklagte zu 2 habe es zwar fehlerhaft unterlassen, nach etwa 6 Monaten eine – erst dann erforderliche – Kontrolle des Sehvermögens des Klägers anzuordnen. Dies sei jedoch folgenlos geblieben, weil der Kläger sich zu diesem Zeitpunkt wegen der aufgetretenen Sehstörungen selbst in augenärztliche Behandlung begeben habe. Ob nach dem Schreiben der Universitäts-Augenklinik F. vom 4. Mai 1992 in der Weitergabe des Medikaments ein einfacher Behandlungsfehler zu sehen sei, könne ebenfalls offen bleiben. Denn der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass ein entsprechend früheres Absetzen des Medikaments die Augenschädigung verhindert hätte. Der Sachverständige Prof. Dr. A. habe keine Aussage dazu machen können, wie die Entwicklung gewesen wäre, wenn man das Medikament schon früher abgesetzt hätte. Eine Umkehr der Beweislast komme dem Kläger nicht zu Gute, weil insoweit kein grober Behandlungsfehler vorliege. Der Entscheidung des Beklagten zu 2, die Medikamententherapie fortzusetzen, liege eine Güterabwägung zugrunde, die zum damaligen Zeitpunkt vertretbar gewesen sei, weil das Medikament die Anfallshäufigkeit beim Kläger reduziert habe. Jedenfalls aber sei die Entscheidung kein Fehler gewesen, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe. Was die Aufklärungspflichten anbelange, habe der Beklagte zu 2 diese zwar sowohl vor Beginn der Verabreichung des Medikaments als auch nach Erhalt des Arztbriefes vom 4. Mai 1992 verletzt. Der Kläger hätte jedoch der Einnahme des Medikaments im Sinne einer hypothetischen Einwilligung auch zugestimmt, wenn er zuvor darauf hingewiesen worden wäre, dass dieses in Deutschland noch nicht zugelassen und grundsätzlich mit Nebenwirkungen unbekannter Art zu rechnen sei. Der Kläger habe bei seiner Anhörung diesbezüglich nicht plausibel gemacht, dass er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Soweit es um die Verletzung der Aufklärungspflichten nach dem Auftreten der Sehstörungen des Klägers gehe, scheitere eine Haftung der Beklagten wiederum daran, dass der Kläger den Nachweis der Kausalität einer Fortsetzung der Medikation für die bei ihm eingetretenen Augenschäden nicht habe führen können.

II.

Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

A. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft eine Haftung der Beklagten wegen eines Behandlungsfehlers verneint.

1. Das Berufungsgericht geht allerdings ohne Rechtsfehler davon aus, dass allein die Verabreichung des noch nicht in Deutschland zugelassenen Medikaments im September 1991 noch keinen Behandlungsfehler darstellte.

a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 13. Juni 2006 – VI ZR 323/04 – VersR 2006, 1073) darf die Anwendung einer neuen Behandlungsmethode erfolgen, wenn die verantwortliche medizinische Abwägung und ein Vergleich der zu erwartenden Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohles des Patienten die Anwendung der neuen Methode rechtfertigt. Anhaltspunkte für eine in diesem Sinne fehlerhafte oder ungenügende Abwägung durch die Behandlungsseite zum Zeitpunkt des Beginns der Medikation macht die Revision selbst nicht geltend und sind auch nicht ersichtlich. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts reduzierte sich die Zahl der epileptischen Anfälle des Klägers nach der Einnahme des Medikaments deutlich; gefährliche Nebenwirkungen, insbesondere eine Beeinträchtigung des Sehvermögens, waren damals noch nicht bekannt.

b) Die Tatsache, dass das Medikament nicht nur neu, sondern auch in Deutschland noch nicht zugelassen war, vermag unter den Umständen des Streitfalles keine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen. Die Zulassung eines Medikaments gibt lediglich ein Verkehrsfähigkeitsattest und löst eine Vermutung für die Verordnungsfähigkeit in der konkreten Therapie aus (vgl. Hart MedR 1991, 300, 304 f.). Der individuelle Heilversuch mit einem zulassungspflichtigen, aber noch nicht zugelassenen Medikament wird durch das Arzneimittelgesetz nicht verboten. Seine Zulässigkeit ist deshalb arzthaftungsrechtlich nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Danach begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht auf Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen, dass sich die klinische Prüfung in Phase III befand und das Medikament kurz vor seiner Zulassung in Deutschland stand, in der Verabreichung des noch nicht zugelassenen Medikaments als solcher im September 1991 noch keinen Behandlungsfehler gesehen hat.

2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts ist jedoch rechtsfehlerhaft, soweit es meint, für eine Haftung wegen des weiteren Verhaltens des Beklagten zu 2 während der Medikation wäre ein grober Behandlungsfehler mit einer Umkehr der Beweislast dahingehend erforderlich, dass ein früherer Abbruch der Medikation den Eintritt der Augenschäden verhindert hätte.

a) Das Berufungsgericht sieht es nach dem Ergebnis seiner Beweisaufnahme als nahe liegend an, dass die Verabreichung des Medikaments V. für die beim Kläger eingetretenen Augenschäden ursächlich gewesen sei. Dabei geht es auch zutreffend davon aus, dass nach den Umständen des Streitfalles nach den vom Senat im so genannten Lues-Fall (BGHZ 11, 227) entwickelten Grundsätzen ein Anscheinsbeweis für die Kausalität sprechen könnte. Kann ein festgestelltes Krankheitsbild (theoretisch) die Folge verschiedener Ursachen sein, liegen aber nur für eine dieser möglichen Ursachen konkrete Anhaltspunkte vor, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für diese Ursache, selbst wenn sie im Vergleich zu den anderen möglichen Ursachen relativ selten ist und das festgestellte Krankheitsbild nur eine zwar mögliche, aber keine typische Folge dieser Ursache ist. Da das Berufungsgericht die Kausalitätsfrage letztlich offen gelassen hat, ist für die revisionsrechtliche Prüfung zu Gunsten des Klägers zu unterstellen, dass die Verabreichung des Medikaments insgesamt ursächlich für die bei ihm festgestellten Augenschäden war.

b) Das Berufungsgericht lässt es weiter dahinstehen, ob in der Zeit ab dem 5. Mai 1992 nach Eingang des Arztbriefes der Universitäts-Augenklinik vom 4. Mai 1992 mit dem darin geäußerten Verdacht eines medikamenteninduzierten "AION" ein einfacher Behandlungsfehler zu sehen sei. Ein solcher ist mithin für die revisionsrechtliche Überprüfung ebenfalls zu unterstellen.

c) Bei dieser Sachlage ist die Auffassung des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft, eine Haftung der Beklagten scheitere jedenfalls daran, dass kein grober Behandlungsfehler in der weiteren Verabreichung des Medikaments ab dem 5. Mai 1992 vorliege. Denn bei feststehender Kausalität zwischen der Verabreichung des Medikaments und den eingetretenen Augenschäden des Klägers würde grundsätzlich auch ein einfacher Behandlungsfehler zur Begründung einer Haftung der Beklagten ausreichen. Soweit das Berufungsgericht dies mit der Erwägung verneint, der Kläger könne den Nachweis nicht führen, dass ein Abbruch der Medikation ab dem 5. Mai 1992 etwas an Art und Ausmaß der Augenschäden geändert hätte, verkennt es die Beweislast die sich ergäbe, wenn – wie im Streitfall – ein neues Medikament mit unbekannten Risiken verabreicht wird und ein solches Risiko sich tatsächlich verwirklicht. Stünde nämlich fest, dass die behandlungsfehlerhafte Verabreichung des Medikaments ein Behandlungsfehler war und dass sie im Ergebnis zu einem Gesundheitsschaden des Patienten geführt hat, so hätte die Behandlungsseite zu beweisen, dass der Gesundheitsschaden nach Art und Ausmaß auch bei rechtzeitigem Absetzen des Medikaments eingetreten wäre.

3. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, mit der es einen Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Verabreichung des Medikaments vor dem 5. Mai 1992 verneint. Die Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler vorliegt, ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters und revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Das Berufungsgericht ist jedoch bei seiner Beurteilung unter den besonderen Umständen des Streitfalles von einem fehlerhaften, weil zu geringen Sorgfaltsmaßstab ausgegangen.

a) Die Anwendung neuer Behandlungsmethoden bzw. – wie hier – die Vornahme von Heilversuchen an Patienten mit neuen Medikamenten unterscheidet sich von herkömmlichen, bereits zum medizinischen Standard gehörenden Therapien vor allem dadurch, dass in besonderem Maße mit bisher unbekannten Risiken und Nebenwirkungen zu rechnen ist. Deshalb erfordert die verantwortungsvolle medizinische Abwägung einen – im Verhältnis zur standardgemäßen Behandlung – besonders sorgfältigen Vergleich zwischen den zu erwartenden Vorteilen und ihren abzusehenden oder zu vermutenden Nachteilen unter besonderer Berücksichtigung des Wohles des Patienten (vgl. Senatsurteil vom 13. Juni 2006 – VI ZR 323/04 – aaO). Diese Abwägung ist kein einmaliger Vorgang bei Beginn der Behandlung, sondern muss jeweils erneut vorgenommen werden, sobald neue Erkenntnisse über mögliche Risiken und Nebenwirkungen vorliegen, über die sich der behandelnde Arzt ständig zu informieren hat. Dabei muss er unverzüglich Kontrolluntersuchungen vornehmen, wenn sich Risiken für den Patienten abzeichnen, die zwar nach Ursache, Art und Umfang noch nicht genau bekannt sind, jedoch bei ihrem Eintreten zu schweren Gesundheitsschäden führen können.

b) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet, soweit es einen Behandlungsfehler wegen Nichtbefolgens der Empfehlung zu Kontrollen des Sehvermögens in der mit dem Zulassungsbescheid herausgegebenen Fachinformation erst nach einem halben Jahr in Erwägung zieht.

Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass es zu den Sorgfaltspflichten eines Arztes bei einem Heilversuch mit einem noch nicht zugelassenen Medikament gehört, sich nach erfolgter Zulassung (hier: am 19. Dezember 1991) über die vom Hersteller bzw. vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen zu informieren. Diese bestanden im Streitfall insbesondere in dem Hinweis, dass Langzeitauswirkungen von V. auf das visuelle System und okulomotorische Leistungen (Sehfunktion) beim Menschen noch nicht untersucht worden seien, weshalb periodische (z.B. monatliche) Kontrollen des Sehvermögens angezeigt seien. Der Auffassung des Berufungsgerichts, aus dieser Formulierung werde deutlich, dass solche Vorsichtsmaßnahmen nicht als zwingend geboten anzusehen gewesen seien und schon gar nicht Kontrollen in monatlichen Abständen, kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden.

Durch den Hinweis in der Gebrauchsinformation wurden die Möglichkeit und die Stoßrichtung bisher unbekannter Risiken hinreichend deutlich, nämlich eine Schädigung des Sehvermögens. Werden hierbei vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als Vorsichtsmaßnahme regelmäßige "z.B. monatliche" Kontrollen des Sehvermögens für angezeigt erachtet, so liegt auf der Hand, dass der behandelnde Arzt dies sofort zu beachten hat und nicht erst nach sechs Monaten. Darüber hinaus setzen regelmäßige Kontrollen des Sehvermögens sinnvollerweise voraus, dass zu Beginn der Behandlung ein Augenstatus erhoben wird, um spätere Veränderungen überhaupt feststellen zu können. Da der Kläger im Streitfall das Medikament bereits seit Ende September 1991 erhalten hatte, ohne dass zu Beginn der Behandlung ein Augenstatus erhoben und weitere Kontrollen des Sehvermögens durchgeführt worden waren, hätte der Beklagte zu 2 dies bei Bekanntwerden der entsprechenden Empfehlung zum Zeitpunkt der Zulassung des Medikaments nachholen müssen. Keinesfalls durfte er sich über die empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen und noch dazu über einen Zeitraum von sechs Monaten hinwegsetzen und das Medikament unkontrolliert weiter verabreichen.

Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht – wie das Berufungsgericht meint – aus der aktuellen Gebrauchsinformation (Stand 2002), die nunmehr lediglich Kontrollen des Sehvermögens in sechsmonatigen Abständen vorsieht. Zum einen wird dabei übersehen, dass darin auch Gesichtsfelduntersuchungen vor Behandlungsbeginn empfohlen werden. Darüber hinaus wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass zum damaligen Zeitpunkt der Zeitablauf bis zu einer Realisierung des möglichen Risikos noch nicht bekannt war und deshalb die in der Gebrauchsinformation zum Zulassungsbescheid vorgeschlagenen Vorsichtsmaßnahmen maßgebend waren. Schließlich kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht darauf an, ob nach dem zwischenzeitlichen Wissensstand nicht beweisbar wäre, dass die Augenschäden beim Kläger schon früher aufgetreten und feststellbar gewesen wären. Denn bei der unkontrollierten Weitergabe des Medikaments von der Bekanntgabe des Zulassungsbescheides im Dezember 1991 an handelt es sich um einen Behandlungsfehler und nicht nur um einen Befunderhebungsfehler. Muss aber revisionsrechtlich unterstellt werden, dass die Verabreichung des Medikaments für die beim Kläger eingetretenen Augenschäden ursächlich war, kann auch ein einfacher Behandlungsfehler zu diesem früheren Zeitpunkt eine Haftung der Beklagten rechtfertigen.

4. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht einen groben Behandlungsfehler in der Weiterverabreichung des Medikaments ab dem 5. Mai 1992 verneint, hält den Angriffen der Revision ebenfalls nicht stand.

a) Zwar richtet sich die Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob nach den gesamten Umständen des Einzelfalls, deren Würdigung weitgehend im tatrichterlichen Bereich liegt. Revisionsrechtlich ist jedoch sowohl nachzuprüfen, ob das Berufungsgericht den Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt, als auch, ob es bei der Gewichtung dieses Fehlers erheblichen Prozessstoff außer Betracht gelassen oder verfahrensfehlerhaft gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsurteil vom 28. Mai 2002 – VI ZR 42/01 – VersR 2002, 1026 m.w.N.).

b) Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass ein grober Behandlungsfehler neben einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse die Feststellung voraussetzt, dass der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. etwa Senat BGHZ 159, 48, 53). Soweit es jedoch weiter meint, es gehöre auch zum Wesen eines solchen Fehlers, dass er die Aufklärung des Behandlungsverlaufs besonders erschwert habe, so steht dies nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats. Wie der Senat in seinem Urteil BGHZ 159, 48 klargestellt hat, handelt es sich bei dieser Erwägung lediglich um das Motiv für eine Beweislastumkehr bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers, nicht jedoch um eine zusätzliche Voraussetzung im konkreten Einzelfall. Ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, führt grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden. Dafür reicht aus, dass der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahe legen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden hingegen nicht.

c) Des Weiteren hat das Berufungsgericht – wie bereits ausgeführt – den erhöhten Sorgfaltsmaßstab bei einem Heilversuch mit einem noch nicht zugelassenen bzw. in der Zulassungsphase befindlichen neuen Medikament nicht beachtet, durch den sich auch geringere Anforderungen an die Bejahung eines groben Behandlungsfehlers ergeben.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts musste der Beklagte zu 2 spätestens seit der Zulassung des Medikaments am 19. Dezember 1991 mit Auswirkungen des Medikaments auf das visuelle System und die Sehfunktion beim Menschen rechnen, denn in dem "Wortlaut der für die Packungsbeilage vorgesehenen Angaben" wurde diesbezüglich zur Vorsicht und zur Durchführung periodischer Kontrollen des Sehvermögens aufgefordert. Nachdem beim Kläger nach etwa einem halben Jahr Ende März/Anfang April 1992 tatsächlich Sehstörungen auftraten und aus dem Schreiben der Universitäts-Augenklinik F. vom 4. Mai 1992 hervorging, dass eine dort diagnostizierte anteriore ischämische Opticusneuropathie (AION) möglicherweise medikamenteninduziert sei, bestand der hinreichende Verdacht, dass beim Kläger eine in ihren Auswirkungen noch nicht überschaubare, bislang unbekannte Nebenwirkung des Medikaments aufgetreten sein könnte, die bei einer Fortsetzung der Medikation eine schwere Schädigung des Sehvermögens befürchten ließ.

Das Berufungsgericht führt hierzu aus, der gerichtliche Sachverständige habe bei seiner mündlichen Anhörung zu der Diagnose "AION" erklärt, diese beinhalte die Gefahr einer Erblindung, und zwar könne dabei auch ohne eine weitere allmähliche Entwicklung schlagartig "das Licht ausgehen". Aus diesem Grunde würde man bei einer Güterabwägung, wenn Behandlungsalternativen bestünden, ein neues Medikament absetzen und lieber eine erhöhte Anfallshäufigkeit in Kauf nehmen, wenn der Verdacht bestehe, dass die Erkrankung im Zusammenhang mit dem Mittel stehe. Soweit dann der Sachverständige nach weiterer Befragung meinte, die festgestellten Symptome seien gar nicht so gravierend gewesen und die Abklärung der üblichen in Betracht kommenden Risikofaktoren für die im Allgemeinen sehr schwierigen Ursachenfeststellungen bei einer "AION" sei im Sinne eines Standardscreenings angesprochen, ohne dass schon irgendein Zusammenhang mit dem Medikament hergestellt worden sei, war diese Äußerung nicht geeignet, die Güterabwägung zu Gunsten einer Fortsetzung der Medikation entscheidend zu beeinflussen. Die Revision weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass es nicht um die Schwere der bereits festgestellten Symptome und die genauere Abklärung ihrer Ursachen ging, sondern um die Vermeidung möglicher irreparabler Schäden durch eine fortgesetzte Verabreichung des Medikaments.

Da es sich um einen Heilversuch mit einem neuen Medikament handelte, bei dem mit unbekannten Gefahren und Risiken gerechnet werden musste, hätte der von einer Universitäts-Augenklinik geäußerte Verdacht auf die ernstzunehmende Möglichkeit eines medikamenteninduzierten Eintritts irreparabler Schäden für das Sehvermögen des Klägers grundsätzlich im Rahmen der erneut erforderlichen Güterabwägung dazu führen müssen, aus Sicherheitsgründen im Interesse der Gesundheit des Patienten vorrangig einen zumindest vorläufigen sofortigen Abbruch der Medikation bis zum Vorliegen weiterer Untersuchungsergebnisse in Betracht zu ziehen. Insbesondere lässt das Berufungsurteil eine Begründung dafür vermissen, weshalb es nicht zumindest eine Aussetzung der Weiterbehandlung mit dem neuen Medikament bis zum Vorliegen des in Auftrag gegebenen Lymphozytenstimulationstests (LTT), von dem man sich weitere Aufklärung versprach und der schließlich zum endgültigen Absetzen des Medikaments führte, angesichts der erheblichen Gesundheitsrisiken für das Sehvermögen des Klägers zwingend für geboten hielt. Dies gilt umso mehr, als nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dieser Test offensichtlich in gleicher Weise hätte durchgeführt werden können, wenn das Medikament nach der Entnahme der ersten Blutprobe vorläufig abgesetzt worden wäre. Im Hinblick auf die Tatsache, dass dessen Ergebnis schon drei bis vier Wochen später vorlag, bedurfte es mithin besonderer Umstände, die eine Fortsetzung der Medikation für diesen Zeitraum verständlich erscheinen ließen. Das Berufungsgericht führt hierfür lediglich allgemein die deutlich reduzierte Anfallshäufigkeit beim Kläger auf, ohne – wie die Revision mit Recht rügt – Stellung dazu genommen zu haben, welche alternative Behandlungsmöglichkeiten mit anderen Medikamenten in Betracht kamen, um die Anfälle bzw. die Häufigkeit ihres Auftretens beim Kläger in vertretbaren Grenzen zu halten. Das Berufungsgericht wird – falls es auf das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers noch ankommen sollte – erneut mit sachverständiger Hilfe zu prüfen haben, ob es aus objektiver Sicht noch verständlich ist, dass das Medikament nach Vorliegen des Schreibens der Universitäts-Augenklinik vom 4. Mai 1992 nicht zumindest vorläufig bis zum Vorliegen des Untersuchungsergebnisses des in Auftrag gegebenen Lymphozytenstimulationstests abgesetzt wurde.

B. Auch die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten wegen Verletzung der Aufklärungspflicht verneint hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern.

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Arzt, der eine neue und noch nicht allgemein eingeführte Behandlung mit einem neuen, noch nicht zugelassenen Medikament mit ungeklärten Risiken anwenden will, den Patienten nicht nur über die noch fehlende Zulassung, sondern auch darüber aufzuklären hat, dass unbekannte Risiken derzeit nicht auszuschließen sind (vgl. Senatsurteil vom 13. Juni 2006 – VI ZR 323/04 – aaO m.w.N.). Dies ist erforderlich, um den Patienten in die Lage zu versetzen, für sich sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken behandeln lassen möchte oder nach der neuen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren.

Nach dem damaligen Kenntnisstand musste zwar der Kläger noch nicht speziell auf das Risiko einer Augenschädigung hingewiesen werden; es fehlte aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Hinweis, dass das einzunehmende Medikament noch keine arzneimittelrechtliche Zulassung besaß und deshalb mit unbekannten Risiken zu rechnen war.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Recht dagegen, dass das Berufungsgericht eine hypothetische Einwilligung des Klägers in die Verabreichung des noch nicht zugelassenen Medikaments angenommen hat.

a) Das Berufungsgericht ist insoweit zwar im Ansatz von der Rechtsprechung des erkennenden Senats ausgegangen, wonach sich die Behandlungsseite – allerdings nur unter strengen Voraussetzungen – darauf berufen kann, dass der Patient auch bei Erteilung der erforderlichen Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (vgl. etwa Urteil vom 15. März 2005 – VI ZR 289/03 – VersR 2005, 834, 835 f. m.w.N.). Hat sie dies substantiiert dargelegt, muss der Kläger nachvollziehbar plausibel machen, warum er auch bei zureichender Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Dazu hat das Berufungsgericht im Streitfall den Kläger auch – wie dies grundsätzlich erforderlich ist – persönlich angehört.

b) Gleichwohl halten seine Ausführungen zur hypothetischen Einwilligung der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, weil es zu hohe Anforderungen an die Plausibilität eines Entscheidungskonflikts bei der Verabreichung eines noch nicht zugelassenen Medikaments gestellt hat.

An die Voraussetzungen einer hypothetischen Einwilligung sind schon bei der "normalen Standardbehandlung" strenge Anforderungen zu stellen, damit das Aufklärungs- bzw. Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht unterlaufen wird (Senat, Urteile vom 5. Februar 1991 – VI ZR 108/90 – VersR 1991, 547, 548; vom 14. Juni 1994 – VI ZR 260/93 – VersR 1994, 1302; vom 17. März 1998 – VI ZR 74/97 – VersR 1998, 766, 767, jeweils m.w.N.). Da es sich bei einem Heilversuch mit einem noch nicht zugelassenen Medikament letztlich um einen medizinischen Versuch – wenngleich zu individuell-therapeutischen Zwecken – handelt, sind für das Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung besonders strenge Maßstäbe anzulegen (ähnlich Hart MedR 1994, 94, 102; Bender aaO, 512 Fn. 9; Giesen aaO, S. 23, Fischer in FS für Deutsch, S. 545, 556 ff.). Dies wird dadurch bestätigt, dass die §§ 40 ff. AMG bei einer klinischen Prüfung eines neuen, noch nicht zugelassenen Medikaments grundsätzlich eine schriftliche Einwilligungserklärung des Patienten vorsehen. Das Arzneimittelgesetz war zwar im vorliegenden Fall nicht unmittelbar anwendbar, weil der Einsatz des Medikaments außerhalb einer im Haus der Beklagten zu 1 durchgeführten klinischen Prüfung erfolgte (vgl. zur damaligen Fassung des AMG vom 24. August 1976 nach dem Vierten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 11. April 1990 – Laufs NJW 1993, 1497, 1498 Fn. 29; so auch heute: vgl. Kloesel/Cyran, AMG, 101. Akt.-Lief. 2006, § 40 RN 25; Deutsch VersR 2005, 1009 ff.). Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und die erhöhten Anforderungen an eine wirksame tatsächliche Einwilligung über die (vorschnelle) Annahme einer hypothetischen Einwilligung in einen Heilversuch außerhalb des klinischen Prüfungsverfahrens umgangen werde.

Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts hat sich der Kläger darauf berufen, dass er dann, wenn er gewusst hätte, dass das Medikament noch nicht zugelassen gewesen sei und deshalb die Gefahr noch nicht bekannter Nebenwirkungen bestanden hätte, dieses Mittel nicht genommen hätte bzw. in einen ernsten Entscheidungskonflikt geraten wäre, weil er wegen seiner bereits vorhandenen schweren Erkrankung nicht bereit gewesen sei, das Risiko einer weiteren Schädigung einzugehen. Dies genügte grundsätzlich, um einen Entscheidungskonflikt bei einem Heilversuch mit einem noch nicht zugelassenen Medikament plausibel zu machen und der Behandlungsseite die Beweislast dafür aufzubürden, dass sich der Patient bei hinreichender Aufklärung gleichwohl für den Heilversuch entschieden hätte. Soweit das Berufungsgericht darüber hinaus weitere Plausibilitätsüberlegungen anstellt, verkennt es, dass bei der Plausibilität des Entscheidungskonflikts auf die persönliche Entscheidungssituation des jeweiligen Patienten abzustellen ist. Was aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre und wie ein "vernünftiger Patient" sich verhalten haben würde, ist hingegen grundsätzlich nicht entscheidend (vgl. etwa Senatsurteil vom 17. März 1998 – VI ZR 74/97 – VersR 1998, 766). Der Tatrichter darf seine eigene Beurteilung des Konflikts nicht an die Stelle derjenigen des Patienten setzen (vgl. Senatsurteil vom 1. Februar 2005 – VI ZR 174/03 – VersR 2005, 694).

III.

Nach alledem war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die noch erforderlichen Feststellungen nachholen kann.

Zustimmung des Bundesrats zum neuen Medizinproduktegesetz

Bundesrat stimmt neuem Medizinproduktegesetz zu

Zugestimmt hat der Bundesrat am Freitag dem so genannten Gesetz zur Änderung medizinprodukterechtlicher und anderer Vorschriften. Es richtet sich an Hersteller von Medizinprodukten, an Ärzte, Krankenhäuser, Betreiber von Gesundheitseinrichtungen und an Behörden. 

Das Gesetz regelt unter anderem die Eigenherstellung und Anwendung von Medizinprodukten in Gesundheitseinrichtungen, zum Beispiel von Tests zur Erkennung seltener Krankheiten, die medizinische Universitätslabore entwickelt haben. Diese Eigenherstellung bleibt grundsätzlich erlaubt. Die Produkte müssen aber die gleichen Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllen wie kommerzielle Tests. 

Das Gesetz regelt auch, welche so genannten arzneimittelähnlichen Medizinprodukte die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen dürfen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll eine Liste dieser erstattungsfähigen Produkte erstellen und sie als Richtlinie veröffentlichen. Dazu gibt ihm das neue Gesetz ein Jahr Zeit.

Im Interesse des Verbraucherschutzes hat der Bundesrat außerdem den Anwendungsbereich des Medizinproduktegesetzes erweitert. So soll es Ärzten weiterhin gestattet sein, Nichtmedizinprodukte in der Praxis einzusetzen, zum Beispiel Fitnessgeräte bei Belastungs-EKGs. Wenn aber vergleichbare Medizinprodukte einer sicherheitstechnischen Kontrolle unterliegen, soll dies künftig auch für Nichtmedizinprodukte gelten.

Das Gesetz tritt zum 30. Juni 2007 in Kraft.

Quelle: www.aerzteblatt.de

Teure Rache eines enttäuschten Liebhabers

1. Die unberechtigte Veröffentlichung und Verbreitung erotischer Fotos über das Internet ist eine unerlaubte Handlung und gibt dem Verletzten ein Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 BGB, Art. 1 I, 2 I GG) sowie auch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB).

2. Für die Höhe des Schmerzensgeldes sind neben der Art und Intention der Tatausführung insbesondere die Folgen dieser Handlung für die Kl. von Bedeutung. Insoweit hat der Bekl. selbst dargestellt, dass eine endgültige Entfernung der Bilddateien aus dem Internet nach dem derzeitigen technischen Stand nicht möglich ist, da weder die Identität desjenigen festgestellt werden kann, der die Bilder herunterlädt, noch zu ermitteln ist, wer diese Bilder erneut einstellt und damit seinerseits wieder zur Verbreitung freigibt.

LG Kiel, Urteil vom 27. 4. 2006 – 4 O 251/05

Der vom Landgericht Kiel entschiedene ist ein offenbar recht krasser Fall enttäuschter Liebe, die den sich rächenden enttäuschten Liebhaber sehr teuer zu stehen kam.

Sachverhalt:

Die Kl. war mit dem Bekl. seit November 2001 befreundet. Sie trennte sich im Dezember 2002 von ihm. Während ihrer Beziehung hatte der Bekl. von der Kl. mit seiner digitalen Kamera Fotografien gefertigt, von denen zwei die Kl. lächelnd, mit entblößter Brust auf dem Bett sitzend zeigen, mit dem An- oder Auskleiden beschäftigt, während sie auf dem dritten Foto vollkommen entblößt schlafend zu sehen ist. Diese Fotos hatte er ihr auf einer CD im November 2002 zukommen lassen. Nach Beendigung der Beziehung versuchte der Bekl. zunächst noch bis Mitte Februar 2003, die Kl. wieder für sich zu gewinnen. Als dies misslang, stellte der Bekl. die drei Fotos von der Kl. auf einer Tauschbörse ins Internet, nachdem er sie derart bearbeitet hatte, dass in der linken oberen Ecke in roter Schrift Name, vollständige Postanschrift und Telefonnummer der Kl. eingeblendet wurden und in der rechten oberen Ecke das Wort „… danach!“. Um diese Fotos anderen Mitgliedern der Tauschbörse zur Verfügung zu stellen, musste er sie eigens dafür vorsehen und in eine eigene Datei einlegen, auf die dann – weltweit unbegrenzt – der Zugriff eröffnet war, so dass jeder Betrachter die Bilder herunterladen und auch seinerseits zum Betrachten und Herunterladen wieder einstellen konnte.

Die Kl. erhielt am 17. 3. 2003 gegen 12.30 Uhr den Anruf eines ihr unbekannten Mannes, der ihr von der Internet-Veröffentlichung der Fotos berichtete und ihr diese Fotos auf ihre Bitte per E-Mail zusandte. Noch am selben Tage erstattete die Kl. gegen den Bekl. Strafanzeige und stellte Strafantrag; er wurde Anfang Februar 2004 rechtskräftig wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf die Aufforderung des Prozessbevollmächtigten der Kl. vom 23. 3. 2003 zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und Zahlung eines Schmerzensgeldes von 11000 Euro bis zum 14. 4. 2003 ließ der Bekl. mit anwaltlichem Schreiben vom 17. 4. 2003 erklären, er habe sämtliche Fotos der Kl. einschließlich der gespeicherten Dateien bzw. des Negativmaterials mittlerweile gelöscht und außer den drei Fotografien weitere Veröffentlichungen nicht vorgenommen, und er bot ein Schmerzensgeld von 1500 Euro an. Gleichzeitig ließ er einen entsprechenden vorformulierten Vergleichsvorschlag übersenden, der auch die geforderte Unterlassungserklärung abänderte. Als die Kl. sich hierzu nicht äußerte, überwies er auf ein erneutes Aufforderungsschreiben vom 20. 1. 2004 als abschließende Schmerzensgeldzahlung Ende Januar 2004 einen Betrag von 2000 Euro. Ein gesonderter Ausgleich der auf diesen Streitwert berechneten Anwaltskosten der Kl. von 141,94 Euro erfolgte nicht.

Zu dieser Zeit erhielt die Kl. zwei Schreiben von ihr unbekannten Männern, die mitteilten, sie hätten die Fotos mit der Anschrift der Kl. im Internet gesehen und wären an Kontakten interessiert. Nachdem die Kl. im Jahre 2004 mit ihren Kindern ausgewandert war, wurde auf Grund der Fotografien eine Namensvetterin der Kl. am 14. 10. 2005 gegen 2 Uhr nachts angerufen und mit schlüpfrigen Angeboten überzogen. Eine Recherche vom 6. 12. 2005 ergab, dass die Fotos nach wie vor im Internet zu finden waren. Die Kl. behauptet, durch die Veröffentlichung der Fotos im Internet sei sie, insbesondere wegen der Angabe von Anschrift und Telefonnummer, in den Bereich der Prostitution gerückt worden. Der Bekl. habe seinerzeit die Fotos von ihr gemacht, weil er seine neue Digitalkamera habe ausprobieren wollen. Sie habe – unstreitig – ihr Einverständnis nur unter der Bedingung gegeben, dass er die Fotos anschließend wieder lösche, und dies auch von ihm gefordert, als er ihr später die CD übersandt habe. Dies habe er ihr auch zugesagt und sie habe darauf vertraut. Den Entschluss, auszuwandern habe sie während des laufenden Strafverfahrens gegen den Bekl. gefasst im Hinblick darauf, dass die Bilder nach wie vor in der Tauschbörse bis heute verfügbar seien. Ursprünglich sei dies keineswegs geplant gewesen, vielmehr habe sie – unstreitig – ihre Kinder im August 2003 eingeschult und im Oktober 2003 in ihrer damaligen Wohnung eine Praxis eingerichtet, in der sie – ebenfalls unstreitig – bis April 2004 gearbeitet habe. Sie habe aber gefürchtet, dass bei jeder Art von Werbung für ihre Praxis die Gefahr von Nachstellungen zunehmen und sich eine Negativ-Publicity entwickeln werde. Ihre Namensvetterin erhalte, wie ebenfalls unstreitig ist, unter Bezugnahme auf die Internet-Veröffentlichungen noch heute belästigende Anrufe. Die Kl. hält ein Schmerzensgeld von mindestens 11000 Euro für angemessen.

Sie beantragt,

1. den Bekl. zu verurteilen, an sie ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zuzüglich 5% Zinsen über dem Basiszins seit dem 15. 4. 2003 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten von 141,94 Euro zu zahlen sowie

2. festzustellen, dass der Bekl. verpflichtet sei, ihr jeglichen weiteren Schaden zu ersetzen, der ihr auf Grund der unbefugten Veröffentlichung der streitgegenständlichen Nacktfotos entstehen werde, namentlich hinsichtlich der Kosten einer effizienten Entfernung der Bilddateien aus dem Internet.

Gründe 

Die Klage hatte Erfolg.

Der Kl. steht gegen den Bekl. auf Grund der unberechtigten Veröffentlichung und Verbreitung erotischer Fotos von ihr über das Internet aus unerlaubter Handlung ein Schmerzensgeld wegen Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 BGB, Art. 1 I, 2 I GG) sowie auch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) zu.

Die Haftung des Bekl. steht zwischen den Parteien dem Grunde nach außer Streit. Entgegen der Ansicht des Bekl. ist jedoch der von ihm zehn Monate nach erstmaliger Aufforderung gezahlte Schmerzensgeldbetrag nicht ausreichend, sondern in Anbetracht der Schwere und insbesondere der Permanenz der Verletzung der Kl. sowie der Nichtigkeit des Anlasses und der mit einigem Aufwand umgesetzten Schädigungsabsicht des Bekl. vollkommen unangemessen.

Der Bekl. hat, allein um der Kl. Schaden zuzufügen und sie buchstäblich vor aller Welt bloßzustellen, intime Fotos der Kl. verbreitet, die niemals für eine Betrachtung durch Dritte bestimmt waren und von denen mindestens das eine, sie unbekleidet schlafend zeigende, auch ohne ihr Wissen aufgenommen worden ist. Er hat darüber hinaus diese digitalen Fotografien eigens in einer Weise bearbeitet, dass – durch das Wort „… danach!“ – nicht nur eindeutig auf einen vollzogenen Geschlechtsverkehr angespielt wurde, sondern – durch die eingestellte vollständige Postanschrift und Telefonnummer – auch noch eine ebenso eindeutige Kontaktaufforderung enthalten war. Indem er die so bearbeiteten Fotos in eine eigene Datei (mit einer gezielt sexuelle Neugier weckenden Dateibezeichnung) brachte und auf einer Tauschbörse anonym, das heißt ohne Hinweis auf seine eigene Urheberschaft, Dritten zum Betrachten wie auch zum Herunterladen präsentierte, hat er bewusst den Eindruck erweckt, die Kl. betreibe auf diese Weise Werbung für sich und sei geneigt, den Geschlechtsverkehr mit jedem beliebigen unbekannten Mann durchzuführen. Daran ändert es auch nichts, dass es sich um keine gestellten Fotos, sondern ersichtliche Amateur-Schnappschüsse handelte; vielmehr ist nicht auszuschließen, dass gerade diese Art von Fotografien auf einige Betrachter reizvoll wirkte. Eben diese Wirkung lassen auch die beiden der Kl. im Januar 2004 zugegangenen Schreiben kontaktsuchender Männer erkennen.

Die Tatsache, dass der Bekl. nicht aus kommerziellen Motiven gehandelt hat, ist entgegen seiner Ansicht kein Grund für eine Ermäßigung des Schmerzensgeldes, da er vorliegend allein von dem niedrigen Beweggrund getrieben war, sich an der Kl., die sich auf eine Fortführung der Beziehung mit ihm nicht einlassen mochte, zu rächen.

Der Bekl. kann sich auch nicht, wie mit Schriftsatz vom 23. 3. 2006 geschehen, auf eine „affektähnliche Handlung“ berufen. Abgesehen davon, dass er selbst keinerlei konkretes Ereignis nennt, das ihn plötzlich derart hätte außer sich geraten lassen, weist die Präparierung der Fotos durch Einfügung von Kommentar und Anschrift vor der Veröffentlichung deutlich auf eine sorgsame und mit Zielstrebigkeit umgesetzte Planung der Tat hin. Dass er, falls seine Angaben zutreffen, die Bilder nicht länger als 14 Stunden im Internet zur Verfügung gestellt hat, entlastet ihn nicht, da in dieser Zeit, wie er auch erkannt hatte, bereits drei Mitglieder der Tauschbörse die Fotos heruntergeladen hatten und damit die sich später verwirklichende Möglichkeit bereits eröffnet war, dass diese Bilder über das Internet verbreitet würden. Die Behauptung des Bekl., diese Eigendynamik sei ihm damals nicht klar und jedenfalls nicht beabsichtigt gewesen, hält das Gericht für eine reine Schutzbehauptung, denn der Bekl. war sowohl mit der Wirkungsweise des Internets als auch speziell mit der Funktion derartiger Tauschbörsen vertraut.

Das von dem Bekl. am 5. 4. 2003 und damit zwei Wochen nach der bei ihm durchgeführten Hausdurchsuchung und vorübergehenden Beschlagnahme von PC und Digitalkamera und nach Einschaltung seines Anwalts gefertigte Schreiben an die Kl. wirkt eher wie der Versuch, sich „reinzuwaschen“ als wie der Ausdruck ehrlichen Bedauerns: So wirft der Bekl. der Kl. vor, sie habe ihn mit seinen Gefühlen, Wünschen und Hoffnungen „eiskalt stehen gelassen“, was er als „herzlos und egoistisch“ empfinde und „die Schmerzen, die er ertragen habe“, hätten ihn zu der Unüberlegtheit geführt, die er „wie in einem Traumzustand“ begangen habe. Auch Sätze wie „Statt offen aufeinander zuzugehen und ehrlich miteinander zu reden, werde ich diese rechtlichen Folgen (der Verbreitung der Fotos) hinnehmen müssen. Dennoch bin ich im Rückblick sehr verletzt und enttäuscht über das Geschehene …“, sprechen eher für Selbstmitleid als Selbstkritik des Bekl. Diesen Eindruck erweckte der Bekl. auch in seiner persönlichen Anhörung, in welcher er einerseits darauf verwies, dass die Kl. ja selbst zum Bekanntwerden seiner Handlungen beigetragen habe, indem sie davon – was er schriftsätzlich als ihre „erfolgreiche Rache“ bezeichnet hat – ihren Bekannten gegenüber gesprochen habe, um sogleich anschließend zu erklären, über ihn seien Gerüchte im Zusammenhang mit Kinderpornografie aufgekommen, die dazu geführt hätten, dass man ihn geschnitten habe, und aus diesem Grunde seien die beiden letzten Jahre die schlimmsten seines Lebens gewesen.

Für die Höhe des Schmerzensgeldes sind neben der Art und Intention der Tatausführung insbesondere die Folgen dieser Handlung für die Kl. von Bedeutung. Insoweit hat der Bekl. selbst dargestellt, dass eine endgültige Entfernung der Bilddateien aus dem Internet nach dem derzeitigen technischen Stand nicht möglich ist, da weder die Identität desjenigen festgestellt werden kann, der die Bilder herunterlädt, noch zu ermitteln ist, wer diese Bilder erneut einstellt und damit seinerseits wieder zur Verbreitung freigibt. Da auch die Dateinamen frei veränderbar und zumindest teilweise auch bereits verändert worden sind, muss nach den gegenwärtigen Erkenntnissen die Kl. damit rechnen, zeitlebens von Dritten auf diesen Fotos „besichtigt“ zu werden, ohne dass sie weiß und jemals kontrollieren kann, ob und wann jemandem aus ihrem Bekanntenkreis diese Bilder bekannt geworden sind und ob das von Dritten ihr gegenüber an den Tag gelegte Verhalten auf die Kenntnis von diesen Fotos zurückzuführen ist. Entgegen der Ansicht des Bekl. ist es damit nicht entscheidend, ob und wann zuletzt die Kl. auf Grund eindeutiger Veranlassung durch die Internetveröffentlichung konkrete Angebote mit sexuellem Bezug erhalten hat, sondern ihr Leben hat sich dadurch einschneidend verändert, dass sie auch bei unspezifischen Verhaltensweisen Dritter wie der Nennung beim Vornamen durch Unbekannte, einem anzüglichen Grinsen oder – so geschehen, solange sie noch unter der auf den Fotos angegebenen Anschrift wohnte – nächtlichem Klopfen an die Fensterscheiben, Klingeln an der Haustür oder Telefonanrufen niemals sicher sein kann, ob dieses Verhalten nicht auf Grund der im Internet kursierenden Fotos veranlasst ist. Hinzu kommt, dass die Kl. fürchten muss, dass auch ihre Kinder beim Surfen im Internet auf diese Fotos stoßen. Die Gefahr konkreter Belästigungen an ihrem Wohnort dürfte zwar durch den Wegzug der Kl. zurückgegangen sein, jedoch haben sie und ihre Kinder damit auch ihr vertrautes Umfeld eingebüßt. Insoweit spielt es nur eine untergeordnete Rolle, dass die Kl. … ausgewandert ist. Auch ein Umzug innerhalb Deutschlands hätte den Verlust des sozialen Umfelds zur Folge gehabt, und dass die Kl. bei einem Umzug lediglich innerhalb der Stadtgrenzen mit weiteren konkreten Nachstellungen zu rechnen gehabt hätte, zeigen die nach ihrem unbestrittenen Vorbringen noch heute vorkommenden Anrufe bei ihrer Namensvetterin. Dass sich die Kl. auch nach ihrer Auswanderung nicht sicher vor Nachstellungen fühlt, ist im Übrigen daraus ersichtlich, dass sie ausdrücklich darum gebeten hat, ihre jetzige Anschrift nicht preiszugeben.

Insgesamt hält das Gericht in Anbetracht der Tatsache, dass die Kl. zukünftig bis auf Weiteres mit den im Internet – weltweit – kursierenden verunglimpfenden Fotos wird leben müssen, auch in Anbetracht der vorgetragenen Einkommensverhältnisse des Bekl. ein Schmerzensgeld von insgesamt 25000 Euro für angemessen. Der Bekl. kann sich zu seiner Entlastung nicht darauf berufen, für die Folgen seiner Handlung, insbesondere das wiederholte Herunterladen und Neueinstellen der Fotos durch Dritte, nur eingeschränkt verantwortlich zu sein, weil diese Dritten ihrerseits haften würden. Abgesehen davon, dass sich aus der Aufmachung der Bilder gerade nicht ergibt, dass durch das Herunterladen und das erneute Einstellen ins Netz eine unerlaubte, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen wird, lassen sich wegen der Anonymität der vom Bekl. gewählten Tauschbörse die weiteren Nutzer der Fotos – zumindest derzeit – nicht ermitteln.

Gleichwohl war auch dem Antrag der Kl. auf Feststellung der Ersatzpflicht des Bekl. für künftige Schäden stattzugeben.

Auch wenn gegenwärtig unstreitig keine technische Möglichkeit besteht, die Fotos (unter sämtlichen derzeit verwendeten Dateinamen) vollkommen und dauerhaft aus dem Internet zu entfernen, und daher derzeit etwa für eine solche Entfernung aufgewendete Kosten nicht zum Erfolg führen können, ist es nicht ausgeschlossen, dass zukünftig ein effizientes Löschungsverfahren entwickelt wird. Die Möglichkeit, dass ohne eine jetzige Feststellung der Ersatzpflicht des Bekl. dem Grunde nach die spätere Durchsetzung von Kostenerstattungsansprüchen wegen der Erhebung einer Verjährungseinrede gefährdet wäre, rechtfertigt das erforderliche Feststellungsinteresse der Kl. Solange im Übrigen die Fotos im Internet weiterhin vorhanden sind, ist auch die Entstehung neuer Schäden bei der Kl. nicht auszuschließen.

Da der Bekl. ein Schmerzensgeld von 2000 Euro bereits bezahlt hat, war dieser Betrag von dem angemessenen Schmerzensgeldbetrag von 25000 Euro abzuziehen. Ebenfalls zu erstatten hat der Bekl. die auf den gezahlten Betrag entfallenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Kl., die – nach der seinerzeit geltenden Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung – mit 141,94 Euro zutreffend berechnet sind. Der Zinsanspruch der Kl. folgt aus §§ 286 I, 288 I BGB.