Haftung des GmbH Geschäftsführers für Fehlkalkulation

a) Zur Darlegungs- und Beweislast  bei Schadensersatzansprüchen gegen einen GmbH-Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG (vgl. BGHZ 152, 280).  
b)  § 43  Abs. 3  Satz 2  i.V.m.  § 9 b  Abs. 1 GmbHG betrifft nur Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer aus § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG

BGH, Beschluss vom 18. Februar 2008 – II ZR 62/07

 

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

II ZR 62/07

vom
18. Februar 2008

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 18. Februar 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Kraemer, Dr. Strohn, Caliebe und Dr. Reichart

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerinnen wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 7. März 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 9.780.765,14 EUR

Gründe:

Die Nichtzulassungsbeschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 544 Abs. 7 ZPO, weil das Berufungsurteil auf entscheidungserheblichen Verletzungen des Anspruchs der Klägerinnen auf rechtliches Gehör beruht.

I. 1. Soweit das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil ausführt, der Vortrag der Klägerinnen zu der dem Beklagten als Geschäftsführer der Klägerin zu 1 zur Last gelegten Fehlkalkulation des Preises für den G. -Auftrag sei "dem Beweis nicht zugänglich", verletzt es in mehrfacher Hinsicht den Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

a) Gemessen an den Hinweis- und Auflagenbeschlüssen des Berufungsgerichts vom 7. Dezember 2005 und vom 10. April 2006 handelt es sich zum einen um eine gegen § 139 Abs. 2 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung, wenn das Berufungsgericht den von den Klägerinnen u.a. beantragten Sachverständigenbeweis deshalb ablehnt, weil die Klägerinnen die dem Festpreis gegenüberstehenden Leistungen hätten "vereinzeln" müssen. Ein derartiges Erfordernis ist den genannten Hinweisbeschlüssen nicht zu entnehmen.

Zum anderen hat das Berufungsgericht den Kern des Vortrags der Klägerinnen nicht richtig zur Kenntnis genommen, der dahin geht, dass sich aus dem Leistungsverzeichnis vom Februar 2000 (Stehordner) i.V.m. der ebenfalls Vertragsinhalt gewordenen "technischen Spezifikation" vom 29. März 2000 und den darin u.a. in Bezug genommenen "Angebotsergänzungen" vom 6. März 2000 (GA VI 83 bis 95) der Umfang der vereinbarten Leistungen ergebe. Das gilt auch hinsichtlich der von dem Berufungsgericht geforderten "Vereinzelung" der Leistungen, die in den genannten umfangreichen Unterlagen beschrieben werden. Sollte das Berufungsgericht gemeint haben, ein Sachverständiger käme damit nicht zurecht, wäre das eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung. Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts stammen die "Angebotsergänzungen" vom 6. März 2000 nicht von der Klägerin zu 1, sondern von der G. , und wurden der Klägerin zu 1 nicht mit Schreiben vom 7. Mai, sondern mit Schreiben vom 7. März 2000 übersandt. Sie sind zwar stichwortartig abgefasst, nehmen aber durchgehend auf die Positionen des Leistungsverzeichnisses vom Februar 2000 Bezug. Soweit das Berufungsgericht darin – unter Hinweis auf das Telefax der G. vom 30. März 2000 (GA I 50) – "eine Erweiterung des Leistungsumfangs" sieht, ist deren Relevanz für die Beweisfrage der Fehlkalkulation nicht ersichtlich. Denn der Beklagte hat den Auftrag der G. in dem ggf. erweiterten Leistungsumfang mit Schreiben vom 4. April 2000 (GA I 51) zu dem vereinbarten Preis angenommen, ohne sich daran durch die Kalkulation vom 27. März 2000 (GA II 1 ff.) gehindert zu sehen. War schon diese, wie die Klägerinnen unter Beweisantritt behaupten, offenkundig zu niedrig berechnet, so würde das für den ggf. erweiterten Leistungsumfang erst recht gelten. Soweit das Berufungsgericht darauf abstellt, dass der Leistungsumfang auch nach dem 4. April 2000 noch erweitert worden sei, ist ebenfalls nicht ersichtlich, weshalb dies zulasten der Klägerinnen und nicht zulasten des – für den Auftrag verantwortlichen – Beklagten gehen soll. Im Übrigen erschließt sich auch nicht, weshalb die betreffenden Positionen nicht herausgerechnet werden könnten.

b) Das Berufungsgericht verkennt allerdings schon im Ansatz, dass die von den Klägerinnen behauptete Fehlkalkulation des Preises für den G. -Auftrag in erster Linie den Vorwurf einer Pflichtverletzung des Beklagten betrifft und diese nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 152, 280 ff.) nicht von den Klägerinnen zu beweisen ist, sondern der Beklagte entsprechend § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG für das Gegenteil, nämlich dafür darlegungs- und beweispflichtig ist, dass er bei der Preisvereinbarung "die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat", der Preis also nicht für ihn erkennbar zu niedrig kalkuliert worden ist. Dass eine etwaige Fehlkalkulation auch die Frage eines Schadens der Klägerin zu 1 berührt (vgl. dazu unten 2), ändert nichts daran, dass es insoweit zunächst einmal um die Frage einer Pflichtverletzung als "konkreter Haftungsgrund" geht, der – entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde – nicht unter § 287 ZPO, sondern unter § 286 ZPO (mit umgekehrter Beweislast) fällt (vgl. auch BGHZ 162, 259, 263). Im Ergebnis bedürfte es aber auch für die Feststellung der behaupteten Fehlkalkulation nicht einer "Vereinzelung" jedes einzelnen Postens des G. -Auftrags, sondern nur einer überschlägigen sachverständigen Beurteilung, ob der vereinbarte Preis die zu erwartenden Kosten aus der Sicht eines sorgfältigen Geschäftsleiters deutlich unterschritt.

c) Die Verkennung der hier maßgeblichen Beweislastgrundsätze durch das Berufungsgericht ändert andererseits nichts daran, dass das angefochtene Urteil auf den dargelegten Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG beruht (§ 544 Abs. 7 ZPO), weil das Berufungsgericht wesentlichen Vortrag der Klägerinnen übergangen (vgl. BGH, Urt. v. 18. Juli 2003 – V ZR 187/02, NJW 2003, 3205) und mit der von ihm geforderten "Vereinzelung" der Auftragspositionen auf einen Gesichtspunkt abgestellt hat, mit dem die Klägerinnen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7. Oktober 2003 – 1 BvR 10/99, NJW 2003, 3687). Das angefochtene Urteil beruht auf der Gehörsverletzung, weil sich nicht ausschließen lässt, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (vgl. BVerfGE 89, 381, 392 f. = NJW 1994, 1053). Soweit darüber hinaus im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auch die Entscheidungserheblichkeit einer Gehörsverletzung zu prüfen ist (§ 544 Abs. 7 ZPO), bezieht sich das vor allem auf die Frage, ob das Berufungsurteil sich trotz der Gehörsverletzung im Ergebnis als richtig darstellt (vgl. § 561 ZPO; BGH, Urt. v. 18. Juli 2003 aaO S. 3206; Musielak/Ball, ZPO 5. Aufl. § 543 Rdn. 9 k). Das ist hier nicht der Fall, weil die Abweisung der Klage mit der Begründung des Berufungsgerichts bei richtiger Beweislastverteilung erst recht nicht haltbar wäre. Die Sache ist aber auch nicht zu Lasten des Beklagten entscheidungsreif.

2. Entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung fehlt hier die Entscheidungserheblichkeit der genannten Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG auch nicht deshalb, weil das Berufungsgericht die Abweisung der Klage in einer Hilfsbegründung auch darauf gestützt hat, dass die Klägerinnen einen Schaden nicht schlüssig dargelegt hätten. Diese Begründung trifft zwar, was auch die Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Abrede stellt, materiell-rechtlich zu, verletzt aber ihrerseits wiederum den Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), weil sämtliche Prozessbeteiligte über zwei Instanzen hinweg die erstmals in dem Berufungsurteil geäußerten Schlüssigkeitsbedenken verkannt haben und es deshalb eines vorherigen Hinweises des Berufungsgerichts (§ 139 Abs. 2 ZPO) bedurft hätte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17. Oktober 2003, NJW 2003, 3687 m.w.Nachw.).

a) Nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 152, 280, 287) trifft die aus § 43 Abs. 2 GmbHG klagende Gesellschaft die – ggf. gemäß § 287 ZPO erleichterte – Darlegungs- und Beweislast dafür, dass und inwieweit ihr durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Geschäftsführers ein Schaden entstanden ist. Als Schaden in diesem Sinne haben die Klägerinnen in den Vorinstanzen die Differenz zwischen dem mit der G. vereinbarten Festpreis und den behaupteten Gestehungskosten der Klägerin zu 1 geltend gemacht. Das träfe nur dann zu, wenn hinreichend wahrscheinlich wäre (§ 287 ZPO), dass die G. einen die Gestehungskosten der Klägerin zu 1 deckenden bzw. den nach Behauptung der Klägerinnen zu kalkulierenden Preis von ca. 32 Mio. DM akzeptiert hätte. Davon kann aber, wie das Berufungsgericht insoweit zutreffend ausführt, in Anbetracht der Konkurrenzangebote von mindestens zwei anderen Unternehmen in Höhe von ca. 17 Mio. DM nicht ausgegangen werden. Zudem machen die Klägerinnen geltend, dass der Beklagte gemäß dem Gesellschafterbeschluss vom 29. Januar 1999 den angeblich vorhersehbar nicht kostendeckenden Vertrag überhaupt nicht hätte abschließen dürfen. Nach der sog. "Differenzhypothese" ist deshalb die durch die angebliche Fehlkalkulation eingetretene Gesamtvermögenslage der Klägerin mit derjenigen zu vergleichen, die sich ohne den G. -Auftrag ergeben hätte (vgl. BGHZ 98, 212, 217; BGH, Urt. v. 26. September 1997 – V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 304 zu b aa; Palandt/Heinrichs, BGB 67. Aufl. vor § 249 Rdn. 9). In diesem Rahmen bildet der behauptete Verlust aus der Durchführung des G. -Auftrags nur einen Rechnungsposten, dem die vom Berufungsgericht festgestellte Tatsache gegenübersteht, dass bei der Klägerin zu 1 im Jahr 2000 infolge des Ausfalls dreier Großprojekte mit einem Gesamtvolumen von 142 Mio. DM eine "signifikante Auftragslücke" bestand und deshalb ohne die Einnahmen aus dem G. -Auftrag möglicherweise gleich hohe Verluste durch laufende Kosten entstanden wären. Wäre der G. -Vertrag bei richtiger Kalkulation nicht abgeschlossen worden, können die Klägerinnen nicht das positive Interesse, sondern nur verlangen, so gestellt zu werden, wie sie ohne den Vertrag gestanden hätten.

b) Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde sich (hypothetisch) darauf beruft, die Klägerinnen hätten auf Hinweis des Berufungsgerichts zur bisherigen Unschlüssigkeit ihrer Schadensdarlegung vorgetragen, dass die "Konkurrenzangebote" mit dem Angebot der Klägerin in technischer und qualitativer Hinsicht nicht vergleichbar gewesen seien, führt auch das zwar nicht zur uneingeschränkten Schlüssigkeit des bisher geltend gemachten Schadens (vgl. zu diesem Erfordernis im Fall einer Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Versäumung der richterlichen Hinweispflicht; BGH, Beschl. v. 11. Februar 2003 – XI ZR 153/02, WM 2003, 702; vgl. auch Musielak/Ball, ZPO 5. Aufl. § 544 Rdn. 17 d a.E.). Denn damit ist nicht gesagt, dass die G. bereit gewesen wäre, den gegenüber den Konkurrenzangeboten von 17 Mio. DM fast doppelten Preis von 32 Mio. DM zu akzeptieren, der sich nach Klägervortrag bei pflichtgemäßer Kalkulation ergeben hätte. Einer Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde aus diesem Grund (wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit der oben I 1 dargestellten Gehörsverletzung) steht jedoch entgegen, dass in den Vorinstanzen bisher allein die Frage der Fehlkalkulation bzw. der Pflichtverletzung des Beklagten im Streit war und das Berufungsgericht die Schadensdarlegung nur in einer – von ihm selbst für nicht entscheidungserheblich erachteten – Hilfsbegründung für unzulänglich erachtet hat (vgl. Musielak/Ball aaO § 543 Rdn. 9 k m.w.Nachw.).

II. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat zusätzlich darauf hin, dass das Berufungsgericht mit unzutreffender Begründung davon ausgeht, den Schadensersatzansprüchen der Klägerinnen stünden die dem Beklagten mit Gesellschafterbeschluss vom 13. Dezember 2000 erteilte Entlastung sowie die Ausschlussfrist in § 11 Ziff. 5 seines Geschäftsführeranstellungsvertrages nicht entgegen.

Soweit das Berufungsgericht meint, eine Entlastungswirkung scheitere gemäß § 43 Abs. 3 i.V.m. § 9 b Abs. 1 GmbHG daran, dass die Klägerin zu 1 bei Fassung des Entlastungsbeschlusses am 13. Dezember 2000 "überschuldet" gewesen sei, geht dies schon deshalb fehl, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts das Stammkapital von ursprünglich 25 Mio. DM noch einen positiven Stand von ca. 12,5 Mio. DM aufwies und deshalb die (zusätzliche) Schadensersatzforderung gegen den Beklagten zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger nicht benötigt wurde (vgl. Scholz/Winter/Veil, GmbHG 10. Aufl. § 9 b Rdn. 8). Die spätere Entwicklung bleibt insoweit außer Betracht (vgl. Sen.Urt. v. 7. April 2003 – II ZR 193/02, ZIP 2003, 945 f. zu 2 a a.E.). Davon abgesehen gilt § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9 b Abs. 1 GmbHG ohnehin nur für den Verzicht auf Schadensersatzansprüche wegen Verstoßes des Geschäftsführers gegen die §§ 30 oder 33 GmbHG (vgl. Sen.Urt. v. 15. September 2002 – II ZR 107/01, ZIP 2002, 2128, 2130 zu 3 a unter Aufgabe des Sen.Urt. v. 15. November 1999 – II ZR 122/98, ZIP 2000, 135). Die dem Beklagten vorgeworfene Fehlkalkulation fällt darunter nicht.

Erst recht scheitert die Wirksamkeit der in dem "Geschäftsführervertrag" des Beklagten vom 7. Mai 1999 vereinbarten Ausschlussfrist von sechs Monaten für die schriftliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht an der von dem Berufungsgericht festgestellten Unterdeckung des Stammkapitals der Klägerin zu 1 (vgl. Sen.Urt. v. 16. September 2002 aaO). Da die Regelungen der Geschäftsführerpflichten in dem Anstellungsvertrag des Beklagten inhaltlich und zum Teil sogar wörtlich (vgl. § 1 Nr. 4) mit den gesetzlichen Organpflichten übereinstimmen, gilt die Ausschlussfrist auch für eine etwaige Organhaftung des Beklagten aus § 43 Abs. 2 GmbHG (vgl. Senat aaO). Das Berufungsgericht wird daher in dem neu eröffneten Berufungsverfahren vorrangig der Frage nachzugehen haben, ob die Ausschlussfrist gewahrt ist. Die für deren Beginn erforderliche "Kenntnis des Gläubigers von allen, die Haftung des Schuldners begründenden Tatsachen" setzt (ähnlich wie § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB) die Kenntnis aller Einzelheiten der Schadenshöhe nicht voraus. Vielmehr genügt danach die Kenntnis der Tatsachen, die eine Haftung des Beklagten dem Grunde nach ergeben. Für die zur Fristwahrung vorgeschriebene "schriftliche Geltendmachung" von Ansprüchen aus dem Geschäftsführervertrag ist eine abschließende Bezifferung ebenfalls nicht erforderlich, sondern genügt eine Geltendmachung dem Grunde nach. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin zu 1 (GA III 28) hatte diese schon im Oktober 2000 aufgrund der von ihrem Beirat geforderten "Auftragskostenanalyse" immerhin Kenntnis davon, dass aus dem G. -Vertrag nicht unerhebliche Verluste zu erwarten waren, die sich nach ihrem eigenen Vortrag schon im Laufe des Jahres 2001, und damit lange vor dem von den Klägerinnen für maßgeblich gehaltenen Zeitpunkt (5.3.2002) erhöht haben.

Bedeutung einer Mithaftungserklärung eines Vereinsvorstands

a)  Ein selbständiges Schuldversprechen im Sinne von § 780 BGB setzt voraus, dass die mit ihm übernommene Verpflichtung von ihrem Rechtsgrund, das heißt von ihren wirtschaftlichen und  rechtlichen Zusammenhängen gelöst
und allein auf den im Versprechen zum Ausdruck gekommenen Leistungswillen des Schuldners gestellt werden soll.
 
b) Erklärt ein Vorstandsmitglied eines Vereins, er werde für die dem Verein durch den pflichtwidrigen Abschluss  von Trainerverträgen entstehenden Kosten persönlich einstehen, soweit  sie nicht durch Sponsorengelder und Werbung aufgebracht werden könnten, handelt es sich nicht um eine unentgeltliche, sondern causa societatis bzw. zur Abwendung nahe liegender Schadensersatzansprüche eingegangene Verpflichtung.

c) Die gesetzliche Schriftform wird auch durch die Unterschrift des Sitzungsleiters unter ein Protokoll gewahrt, in dem eine Erklärung des Sitzungsleiters protokolliert wurde. (Leitsatz von schwarz-anwaelte.de)
 
BGH, Urteil vom 14. Januar 2008 – II ZR 245/06, nachzulesen im Volltext auf den Seiten des BGH (pdf)

In dem entschiedenen Fall hat der BGH eine Haftung des handelnden Vereinsvorstands mit den vorstehenden Gründen bejaht. 

Ersatzpflicht des Geschäftsführers für gezahltes Insolvenzgeld

Nimmt die Bundesagentur für Arbeit den Geschäftsführer einer in Insolvenz gefallenen GmbH wegen verspäteter Insolvenzantragstellung auf Ersatz von ihr geleisteten Insolvenzgeldes aus § 826 BGB in Anspruch, so stellt sich der Einwand des Beklagten, Insolvenzgeld hätte auch bei rechtzeitiger Antragstellung gezahlt werden müssen, als qualifiziertes Bestreiten der Schadensentstehung dar, für die die Bundesagentur darlegungs- und beweispflichtig ist. Der Einwand ist nicht nach den Grundsätzen zu behandeln, die beim Vortrag einer Reserveursache oder eines rechtmäßigen Alternativverhaltens gelten.

BGH, Urteil v. 18.12.2007 — VI ZR 231/06, dessen Volltext auf den Seiten des BGH (pdf) abgerufen werden kann.

 

Gleitender Sorgfaltsmaßstab für Forenbetreiber kann zur Vorabkontrolle verpflichten

Ob und inwieweit dem Betreiber Prüfpflichten obliegen, ist anlassbezogenen zu beurteilen. Dabei ist eine Abwägung vorzunehmen: Je mehr konkreter Anlass zu der Befürchtung besteht, dass es durch Kommentare auf einer Internetseite zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen Dritter kommen wird, und je schwerwiegender die zu befürchtenden Verletzungen sind, umso mehr Aufwand muss der Betreiber auf sich nehmen, um die auf seiner Seite eingestellten Kommentare einer persönlichkeitsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen (vgl. dazu: OLG Hamburg, a.a.O., Rn. 26). Es besteht somit ein "gleitender Sorgfaltsmaßstab" mit einem Spektrum abgestufter Prüfungspflichten: Ist mit großer Sicherheit vorhersehbar, dass es zu schweren Persönlichkeitsrechtsverletzungen kommen wird, so kann die Prüfpflicht des Betreibers demnach an dem einen Ende des Spektrums bis hin zu einer Dauer- oder Vorabkontrollpflicht anwachsen.

LG Hamburg Urteil vom 3.12.2007, 324 O 794/07, im Volltext nachzulesen in der Online-Entscheidungssammlung des Gerichts. 

 

Anmerkung von schwarz-anwaelte.de: Das Urteil entscheidet sich für sehr einschneidende Kontrollpflichten von Forenbetreibern. Sich verletzt Fühlende werden sich in Zukunft um so mehr an das Landgericht Hamburg wenden. Der Verurteilte in dieser Angelegenheit hat aber schon angekündigt, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Die weitere Entwicklung bleibt also abzuwarten.

Kein Mitwirken des Access Providers an Rechtsverletzung

Der Accessprovider wirkt in der Regel nicht willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Rechtsbeeinträchtigung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten mit, weil er keine rechtlich und keine wirksame tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hat.

Leitsatz von schwarz-anwaelte.de

LG Kiel Urteil vom 23.11.2007, 14 O 125/07, im Volltext nachzulesen auf den Seiten des Gerichts 

Keine Verantwortlichkeit des Access Providers

Der sog. Access-Provider ist auch unter dem Gesichtspunkt der wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht für den Inhalt der Webseiten, zu denen er seinen Kunden den Zugang vermittelt, grundsätzlich nicht verantwortlich.

Beschluß des OLG Frankfurt 6 W 10/08 vom 22.1.2008, der Volltext kann auf den Seiten des Gerichts nachgelesen werden.

Ggf. keine Störerhaftung eines Anschlußinhabers für Familienangehörige II

Auch wenn Urheberrechtsverletzungen im Internet häufig vorkommen und darüber in den Medien umfangreich berichtet wird, hat ein Anschlussinhaber nicht bereits deshalb einen Anlass, ihm nahestehende Personen wie enge Familienangehörige bei der Benutzung seines Anschlusses zu überwachen.

OLG Frankfurt, Beschluß vom 20.12.2007 – LG Frankfurt; der Volltext kann auf den Seiten des Gerichts nachgelesen werden (pdf). 

Ggf. keine Störerhaftung eines Anschlußinhabers für Familienangehörige I

Soweit ein Anschlussinhaber einen Anschluß Familienangehörigen zur Verfügung stellt, sind Prüfungs- und Überwachungspflichten nur insoweit anzunehmen, als diese im Rahmen der Erziehung von Kindern in Abhängigkeit von deren Alter auch auf anderen Betätigungsfeldern notwendig ist. Eine dauerhafte Überprüfung des Handelns der eigenen Kinder oder des Ehepartners ist ohne konkreten Anlass nicht zumutbar.

Bei einem volljährigen Kind muß Vater ein konkretes Familienmitglied nicht ohne Anlass der Begehung unerlaubter Handlungen verdächtigen und ist dementsprechend zur Einleitung von Überwachungsmaßnahmen nicht verpflichtet.

Landgericht Mannheim, Urteil vom 29.09.2006, 7 O 76/06

Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen unerlaubten Anbietens eines Computerspiels zum Upload im Internet auf Unterlassung sowie auf Aufwendungs- und Schadensersatz in Anspruch.

Die Klägerin ist Inhaberin der ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte an dem Computerspiel „…“. Der Beklagte ist Inhaber eines. Internetanschlusses.

Im Internet gibt es Tauschbörsen, in denen die Benutzer sich im Rahmen eines Peer-to-Peer-Netzwerkes gegenseitig über die jeweilige Tauschplattform Daten zur Verfügung stellen. Hierzu sind alle Computer der Nutzer über eine bestimmte Software in einem eigenen Netzwerk miteinander verbunden. Um an dem Netzwerk teilnehmen zu können, ist es erforderlich, eine entsprechende Software, welche im Internet kostenlos angeboten wird, herunter zu laden und zu installieren, sowie sich selbst zu registrieren und einen Benutzernamen anzugeben. Jeder Nutzer der Internettauschbörse bietet den anderen Nutzern sodann Einblick in einen bestimmten Teil der Festplatte seines Computers. Die Daten werden dann gegenseitig über die Tauschplattform zur Verfügung gestellt. Dabei bietet jeder, der auch nur ein Datenpaket einer Datei von einem anderen Nutzer auf seine eigene Festplatte lädt, dieses Datenpaket bereits wieder anderen Nutzern für den Download durch diese an (Filesharing).

Am Datum um Uhrzeit bot ein Nutzer mit der IP-Adresse nnn.nnn.nnn.nn die Datei „….rar“ als funktionsfähige Version des hier interessierenden Computerprogramms anderen zum Download an.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte den Beklagten als Anschlussinhaber. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass vom Anschluss des Beklagten aus der streitgegenständliche Upload stattgefunden hat.

Der Beklagte trägt vor, dass er für den streitgegenständlichen Upload nicht verantwortlich sei, da sein volljähriger Sohn an der Tauschbörse teilgenommen habe. Er selbst habe also keine urheberechtsverletzende Handlung vorgenommen. Aber auch für das Tun seines Sohnes brauche er nicht einzustehen.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Der Beklagte ist hinsichtlich einer von ihm selbst begangenen unerlaubten Handlung gem. § 97 Abs. 1 UrhG nicht passivlegitimiert. Die Klägerin ist hinsichtlich eines täterschaftlichen Handelns des Beklagten beweisfällig geblieben.

Denn der Beklagte hat die täterschaftliche Begehung eines Urheberrechtsverstoßes durch ihn wirksam bestritten. Grundsätzlich trifft die Darlegungs- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden Merkmale in § 97 Abs. 1 UrhG den Anspruchssteller (von Wolff in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 2. Aufl., § 97 Rn. 21), hier also die Klägerin. Allerdings trifft den Beklagten eine sekundäre Darlegungslast. Als solche wird die Last einer Gegenpartei bezeichnet, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der darlegungspflichtigen Partei zu äußern. Eine solche sekundäre Darlegungslast kann insbesondere dann angenommen werden, wenn sich die maßgeblichen Vorgänge im Wahrnehmungsbereich des Prozessgegners abgespielt haben. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob es diesem zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (allgemein: BGHZ 86, 23, 29; 100, 190, 196; BGH, Urt. v. 24.11.1998, – VI ZR 388/97, NJW 1999, 714, 715; Mes, P., GRUR 2000, 934, 939). Die Klägerin kann keine Kenntnis davon haben, wer den Internetanschluss der Beklagten zum ermittelten Zeitpunkt tatsächlich genutzt hat; dieser Umstand liegt allein in der Sphäre des Beklagten. Wie weit bei dieser Sachlage die sekundäre Darlegungslast der Beklagten konkret reicht, braucht nicht entschieden zu werden. Der Beklagte ist seiner sekundären Darlegungslast jedenfalls nachgekommen. Er hat sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränkt, sondern vielmehr konkret seinen Sohn als Täter angegeben. Auf dieses Bestreiten der Behauptung einer Täterschaft der Beklagten ist die Klägerin als darlegungs- und beweisbelastete Partei beweisfällig geblieben.

2. Der Beklagte unterliegt auch nicht der Störerhaftung.

a) Wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt, kann als Störer für eine Schutzrechts-/Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden (vgl. BGHZ 148, 13, 17 – ambiente.de; BGH Urt. v. 18.10.2001 – I ZR 22/99, GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor; BGHZ 158, 236, 251 – Internet-Versteigerung). Nach ständiger Rechtsprechung setzt allerdings die Haftung desjenigen, der ohne Täter oder Teilnehmer als Störer haftet, die Verletzung von Prüfungspflichten voraus. Denn anderenfalls würde die Störerhaftung über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben. Der Umfang der Prüfungspflichten bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch genommenen nach den Umständen eine Prüfung zumutbar ist (BGH, Urt. v. 10.10.1996 – I ZR 129/94, GRUR 1997, 313, 315 f – Architektenwettbewerb; Urt. v. 30.06.1994 – I ZR 40/92, GRUR 1994, 841, 842 f; Urt. v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, GRUR 1999, 418, 419 f – Möbelklassiker; BGHZ 148, 13, 17 f – ambiente.de; BGHZ 158, 236, 251 – Internet-Versteigerung).

b) Der Beklagte trägt willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Urheberrechts bei. Er betreibt als Inhaber einen Internetanschluss; dieser ist mit seinem Willen und von ihm angemeldet worden. Ohne den Internetanschluss und seine Überlassung an Dritte wäre es auch nicht kausal zu einer Verletzung des geschützten Urheberrechts gekommen. Er ist als Inhaber des Anschlusses sowohl rechtlich als auch tatsächlich in der Lage, dafür zu sorgen, dass dieser Anschluss nicht für Rechtsverletzungen genutzt wird. Soweit der Beklagte vorträgt, dass er dazu mangels Kenntnisse nicht in der Lage sei, muss er sich dann, wenn er selbst einen entsprechenden Internetanschluss betreibt, der Hilfe Dritter bedienen.

Fraglich ist allein die Annahme der Verletzung von Prüfungspflichten. Dabei ist zu beachten, dass die ursprünglich zwischen den Parteien umstrittene Frage einer Nutzung eines W-LAN Netzes durch Dritte vorliegend nicht zu entscheiden ist. Der Beklagte hat im Laufe des Prozesses seinen diesbezüglichen Vortrag aufgegeben. Stattdessen hat er ohne sachlichen Widerspruch der Klägerin seinen volljährigen Sohn als Täter benannt. Folglich ist allein die Frage der Reichweite der Störerhaftung bei der Internetnutzung durch volljährige Familienmitglieder streitgegenständlich. Hierbei hat der Beklagte keinerlei Überwachungs- oder Belehrungsmaßnahmen vorgetragen.

Der Umfang der Prüfungspflicht bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem Beklagten als Störer nach den Umständen eine Überprüfung der Internetnutzung zuzumuten ist.

Soweit – wie im Streitfall – ein Anschlussinhaber den Anschluss Familienangehörigen und insbesondere seinen Kindern zur Verfügung stellt, beruht die Eröffnung des Zugangs zum Internet auf dem familiären Verbund. Prüfungs- und Überwachungspflichten sind nur insoweit anzunehmen, als diese im Rahmen der Erziehung von Kindern in Abhängigkeit von deren Alter auch auf anderen Betätigungsfeldern notwendig ist. Eine dauerhafte Überprüfung des Handelns der eigenen Kinder oder des Ehepartners ist ohne konkreten Anlass nicht zumutbar. Ohne Anlass für die Annahme, dass Familienmitglieder in rechtswidriger Weise Urheberrechte im Rahmen der Nutzung des Internets verletzen, kommt eine ständige Überwachung oder gar eine Sperrung des Anschlusses für diese nicht in Betracht. Ob es allerdings bei Eröffnung des Internetverkehrs für die Kinder einer einweisenden Belehrung bedarf, ist nach dem Alter und dem Grad der Vernunft der jeweiligen Nutzer im Einzelfall zu entscheiden.

Nach diesen Grundsätzen scheidet im vorliegenden Fall eine Störerhaftung des Beklagten aus. Bei einem volljährigen Kind, das nach allgemeiner Lebenserfahrung im Umgang mit Computer- und Internettechnologie einen Wissensvorsprung vor seinen erwachsenen Eltern hat, kann es sinnvollerweise keiner einweisenden Belehrung über die Nutzung des Internets bedürfen. In diesem Fall bleibt es bei der Beurteilung, dass ein Vater ein konkretes Familienmitglied nicht ohne Anlass der Begehung unerlaubter Handlungen verdächtigen muss und dementsprechend zur Einleitung von Überwachungsmaßnahmen verpflichtet wäre.

Landgericht Hamburg: unbeschränkte Haftung des Forumsbetreibers?

Das Landgericht Hamburg macht wieder mit einer zweifelhaften Entscheidung auf sich aufmerksam. Danach haftet ein Forumsbetreiber im Internet auch für Äußerungen, die er – noch – nicht kennt. (Urteil v. 27.04.2007 – Az.: 324 O 600/06 )

Im entschiedenen Fall hatte das Landgericht die Mehrheit der Behauptungen eines Forumsnutzers als Meinungsäußerung bewertet. Es blieb alleine eine übrig, die das Gericht dem Forenbetreiber – der von dem Eintrag zunächst gar nichts wußte – zur Last legte.

Das Urteil widerspricht in wesentlichen Aussagen höchstrichterlicher Rechtsprechung, so daß zu hoffen ist, daß es keinen Bestand haben wird. Das Risiko, ein Forum zu betreiben, ist auf dieser Grundlage nur dann noch kontrollierbar, wenn man eine Zensur für ein Forum einführt. Das ist bei Foren mit sehr hoher Aktivität nur mit einem Aufwand zu betreiben, den kein Anbieter wird leisten wollen.

Die Realität im Internet ist derzeit eine andere als – was leider zu oft vorkommt – in der Wahrnehmug des Gerichts.

Erst Ende März hatte der BGH zur Äußerung in Foren ein Urteil erlassen, dessen Wortlaut zum Zeitpunkt des Urteils des Landgerichts Hamburg zwar noch nicht vorlag. Doch enthält die offizielle Pressemitteilung des BGH den Satz: "Gegen den Forumsbetreiber kann vielmehr ab Kenntniserlangung ein Unterlassungsanspruch des Verletzten bestehen, unabhängig von dessen Ansprüchen gegen den Autor des beanstandeten Beitrags." (Hervorhebung durch schwarz-anwaelte.de).

Es bleibt zu hoffen, daß die Entscheidung des Landgerichts in oberen Instanzen korrigiert wird.