Viele Schuldner werden sich zur Zeit ins Fäustchen lachen. Die „Reform zur Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung“ sollte eigentlich eine Beschleunigung und Vereinfachung der Zwangsvollstreckung bringen. Das ist zum erheblichen Teil nach hinten losgegangen. So streiten sich jetzt Gläubiger und deren Anwälte, Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher um die Verbindlichkeit und die Farbgestaltung (!) von Formularen. Kollegen schildern, dass erste Gerichtsvollzieher deswegen die Aufträge zurück schicken. Wer dabei gewinnt, ist vor allem der Schuldner. Zumindest Zeit.
Weiterleiten von „Ja“ kann eine schwierige Aufgabe sein.
Die Weiterleitung der Antwort „Ja“ an den Rechtsanwalt kann eine schwierige – eine Angestellte eines Rechtsanwalts überfordernde – Aufgabe sein.
So lautet unser Leitsatz einer aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Der amtliche Leitsatz lautet:
Die Klärung der Frage, ob gegen ein Urteil Berufung eingelegt werden soll, darf der
Rechtsanwalt grundsätzlich nicht allein einem Telefongespräch einer Kanzleikraft
überlassen.
In dem Fall ging es allerdings nicht mehr um eine mehr oder schwierige Erörterung der Voraussetzungen einer Berufung. Diese hatte der Anwalt seiner Mandantin, einer Versicherungsgesellschaft, schon erläutert und eine Berufung für aussichtsreich gehalten. Etwas später rief dann eine Mitarbeiterin der Mandantin in der Kanzlei an und stimmte der Einlegung der Berufung zu. Warum auch immer und wie das Leben so spielt, notierte die langjährige und erfahrene Angestellte der Kanzlei irrtümlich, daß keine Berufung eingelegt werden solle.
Eigentlich hätte man erwartet, daß nun die vom Bundesgerichtshof aufgestellte Grundregel gilt, daß sich der Anwalt einer erfahrenen und langjährigen Mitarbeiterin vertrauen darf. Dazu gehört zum Beispiel das Vertrauen darauf, daß der Fristenkalender sorgfältig geführt wird, eine insbesondere im Hinblick auf die dazu ergangene unübersehbare Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sehr anspruchsvolle Aufgabe. Dazu gehört auch, daß sich der Anwalt darauf verlassen darf, daß eine Auszubildende ein Fax korret versendet, was wiederum recht einfach erscheint. Immerhin schreibt der BGH auch dazu vor, was auf dem zwingend notwendigen Faxsendebericht so alles zu kontrollieren ist.
Ein simples „Ja, Berufung“ soll aber – so der BGH so kompliziert sein, daß der Anwalt das nur selbst entgegennehmen darf…
Bundesgerichtshof Beschluss VI ZB 71/11 vom 2. Oktober 2012
Kanzlei-Familie
Der Sparkassenverlag sendet uns jetzt einen ersten Teil eines neuen Signaturpakets an die
Mit Dienstzeiten von fast 20 Jahren, 18 Jahren, (so gut wie) 10 Jahren und gut zwei Jahren in der Kanzlei kann man vielleicht tatsächlich von einer Familie sprechen?
„Nach hinten losgegangen“
Würden Sie da noch einkaufen?
Das Verwaltungsgericht München mußte jetzt einen Fall entscheiden, in dem das betroffene Unternehmen wahrscheinlich besser keinen Rechtsbehelf eingelegt hätte.
Auf eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung informierten die zuständigen bayerischen Lebensmittelbehörden mit folgendem Text (Auszug):
„… Gestützt werden die Bußgeldbescheide auf Verstöße gegen Hygienevorschriften, die in Betriebsstätten einzuhalten sind, bzw. gegen entsprechende Aufsichtspflichtverletzungen. Es bestand weder eine von Lebensmitteln ausgehende Gesundheitsgefahr, noch wurden zum menschlichen Verzehr ungeeignete Lebensmittel in den Verkehr gebracht. Im Anhörungsverfahren wurden die Tatvorwürfe seitens der Beteiligten weitgehend bestritten. Die Bußgeldbescheide sind noch nicht rechtskräftig und können durch Einspruch angefochten werden. …“
Nicht angenehm für die betroffene Metzgereikette Vinzenzmurr (Meldung von faz.net vom 18.10.2012) aber immerhin keine Gesundheitsgefahr.
Aber Betroffene denken oft nicht an den übernächsten Schritt und so ging man vor das Verwaltungsgericht und wollte die Information der Behörde in einem Eilverfahren untersagen lassen.
Und da würde es richtig widerlich, wie man im jetzt veröffentlichten Beschluß des VG München nachlesen kann (wir zitieren nur einen kleinen Ausschnitt, wer sich weiter ekeln möchte, der kann gerne den Link verfolgen:
„… • Braten für ‚Allgäuer Sennpfanne’ (1.205 g), der stellenweise leicht grünlich verfärbt war und süßlich, fruchtig, faulig sowie sauer roch,
…
• „Leber (233 g), die stellenweise deutlich grünlich verfärbt war, alt, faulig und deutlich ranzig roch sowie faulig schmeckte,
…
„An der Rückseite der Verkaufstheken befanden sich Holzblenden, die den Bereich zwischen Theke und Fußboden verkleidet haben. Diese Holzblenden waren mit dunklen Belägen verunreinigt. Der Fußboden war unter der Fleisch- und Wursttheke z. T. millimeterhoch mit dunklen Belägen, Unrat, Lebensmittelresten, Spinnweben und Rattenkot verunreinigt.“ …“
Das Verwaltungsgericht stellt dann fest, daß diese Feststellungen durchaus von Fachleuten gemacht worden sind:
„Die Feststellungen wurden nach dem Inhalt der Bußgeldbescheide durch mehrere erfahrene und geschulte sachverständige Gutachter beurteilt, die Mitarbeiter der jeweiligen Bezirksinspektion und des Bayerischen Landesamts für Gesundheit- und Lebensmittelsicherheit -LGL- sind. Das LGL ist im Bereich der Sensorik u.a. für die einfach beschreibende Prüfung gemäß der amtlichen Sammlung nach § 64 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs -LFGB- akkreditiert. Probenahmen erfolgten, Gegenproben wurden zurückgelassen. Es liegen Niederschriften über die Probenahmen und Bildmaterial sowie Gutachten des LGL vor.“
Die Metzgerei war vor dem Verwaltungsgericht nicht nur nicht erfolgreich, sondern jetzt kann jeder en Detail die nicht gesundheitsgefährdeten Widerlichkeiten nachlesen. Wäre es da nicht besser gewesen, man hätte es bei der ersten Veröffentlichung belassen, als mit dem Kopf durch die Wand zu wollen?
In diesem Sinne stehen wir Ihnen jederzeit für eine Gesamtbetrachtung auch Ihres Problems zur Verfügung!
BGH: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!?
Ein besonders krasses Beispiel, daß man auf hoher See und deutschen Gerichten immer in Gottes Hand ist, liefert jetzt der BGH ab. Und behauptet dazu noch, er habe nie etwas anderes gesagt.
Der 8. Senat veröffentlicht heute mit dem amtlichen Leitsatz:
Zitat: |
Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war, und ist deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt der Toleranzrechtsprechung bis zu einer Überschreitung von 20 % der gerichtlichen Überprüfung entzogen (Fortführung von BGH, Urteile vom 13. Januar 2011 – IX ZR 110/10, NJW 2011, 1603; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 273/11, juris). BGH, Urteil vom 11. Juli 2012 – VIII ZR 323/11 – |
und in den Gründen erläutert er:
Zitat: |
Der IX. Zivilsenat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er ebenfalls dieser Auffassung sei und sich aus seinem Urteil vom 13. Januar 2011 (IX ZR 110/10, aaO Rn. 18) nichts anderes ergebe. |
Der 9. Senat hatte damals wörtlich in den Gründen ausgeführt:
Zitat: |
b) Die Erhöhung der 1,3-fachen Regelgebühr auf eine 1,5-fache Gebühr ist einer gerichtlichen Überprüfung entzogen. Für Rahmengebühren entspricht es allgemeiner Meinung, dass dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Spielraum von 20 v.H. (sog. Toleranzgrenze) zusteht. Hält sich der Anwalt innerhalb dieser Grenze, ist die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG unbillig und daher von dem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen. Mit der Erhöhung der in jedem Fall angemessenen Regelgebühr um 0,2 haben die Rechtsanwälte des Klägers die Toleranzgrenze eingehalten. |
Die beiden Alternative unterscheiden sich eindeutig, daß in dem oberen Fall „nicht entzogen“ und im unteren Fall „ist entzogen“ formuliert ist. Da muß man schon sehr blind sein, wenn sich daraus nichts anderes ergeben soll.
Wir hatten schon die Erfahrung gemacht, daß ein ansonsten sehr kämpferischer Kfz-Haftpflichtversicherung in der Frage nachgegeben hatte. Der hatte nämlich die Entscheidung des 9. Senats genau so verstanden wie wir.
Vorsicht mit Ankündigungen, die als Drohung aufgefasst werden können!
Gerade so eben ist ein Berliner Anwaltskollege einer Bestrafung entgangen, weil er der Gegenseite eine Veröffentlichung des „Lebenssachverhalts“ im Internet angekündigt hatte, wenn diese nicht binnen kürzester Frist den vereinbarten Betrag zahlte.
Zwei Vorinstanzen hatten da viel mehr hinein interpretiert und daraus gemacht, daß der Anwalt u.a. eine Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens habe behaupten wollen. Er wurde zunächst durch das Amtsgericht und in zweiter Instanz durch das Landgericht (das die Strafe leicht reduzierte) wegen versuchter Nötigung verurteilt. Erst das Kammergericht hat das gerade gerückt. Die Vorgerichte hätten in die Äußerung zu unrecht zu viel hinein interpretiert.
Das Verfahren ist damit ein Beleg dafür, wie vorsichtig man mit solchen Ankündigungen (auch mit Ankündigungen einer Strafanzeige!) sein sollte. Zwar ist der Anwalt freigesprochen worden, aber seinen Zeitverlust und die Nerven für zwei verlorene Verfahren und auch für das gewonnene Verfahren ersetzt ihm niemand.
Ob es ihm das von Anfang an wert gewesen wäre?
Ungenutztes Sparpotential in der öffentlichen Verwaltung
Schon seit (über) einem Jahr gelten für elektronische Rechnungen nach dem Umsatzsteuergesetz neue Regeln. Die Anwendung ist endlich einigermaßen unternehmerfreundlich geworden. Nach nunmehr einem Jahr hat das auch das Bundesfinanzministerium mitbekommen und in einem „Schreiben an die obersten Finanzbehörden der Länder“ in diesem Jahr über Banalitäten gebrütet wie:
„– der Rechnungsaussteller also tatsächlich den behaupteten Zahlungsanspruch hat, “ oder
„– die vom Rechnungssteller angegebene Kontoverbindung korrekt ist“.
Auf die Idee, daß Unternehmer Eingangsrechnungen möglicherweise aus Spaß bezahlen (Betrugsfälle mal außer Acht gelassen), kann man nur in einem Ministerium kommen.
Dann wird der Umsatzsteuererlaß, der ja eine Kommentierung des Gesetzes aus Sicht des Ministeriums ist, weiter kommentiert, also ein Kommentar zu einem Kommentar, seitenweise werden die Regelung mehr oder weniger wörtlich wiedergegeben, als könnten die Adressaten nicht selbst das Gesetz und den Erlaß lesen und das Ganze dann auf 11 langen Seiten. Veröffentlicht wird die Wiederholung der Wiederholung im Bundessteuerblatt dann auch noch.
Wenn man die eigene Substanz des Schreibens herausarbeiten würden, würden im Zweifel maximal 2 Seiten – wenn überhaupt – herausspringen.
Und das geht jetzt an hunderte oder tausende Finanzbeamte, Steuerberater, Journalisten, deren wertvolle Zeit dafür vergeudet wird, Banalitäten auf 11 Seiten durcharbeiten zu sollen. Und das alles ein Jahr, nachdem das Gesetz schon längst geändert worden ist. Was für eine Verschwendung!
Der BGH zu Ingo Steuer
Ein Thema, das nicht nur viele Chemnitzer interessieren wird: die Gründe des Bundesgerichtshofs, warum die Bundesrepublik Deutschland Ingo Steuer als Trainer von Sportsoldaten akzeptieren muß.
Der Bundesgerichtshof hat jetzt den vollen Wortlaut seines Urteils veröffentlicht.
Ein Schiff zur Schwester – rechtlich gesehen.
Das ist doch mal ein ganz anderes – seltenes – Thema: Die Schwesterschiffklausel in der Schiffkaskoversicherung. Wer mehrere Autos hält, der kennt womöglich das Problem, daß von dem einen an dem anderen Auto verursachte Schäden im Zweifel nicht versichert sind. Das scheint in der Schiffsversicherung anders zu sein. Da sind wir zugegebenermaßen keine Experten, eine achtwöchige Erfahrung des Autors als Leichtmatrose auf einem Frachtschiff auf Rhein, Ruhr und Neckar ist noch die intensivste Berührung mit dieser Problematik. Und jetzt mußte sich sogar der BGH damit befassen.
Unterschrift oder nicht?
Mit einer gewissen Regelmäßigkeit muß sich der BGH damit beschäftigen, daß ihm untergeordnete Gericht eine Unterschrift nicht anerkennen wollen. Er legt dabei häufig einen großzügigeren Maßstab an und läßt auch solches noch als Unterschrift gelten:
Sie besteht, wie die vom Beklagten zur Akte gereichten Schriftproben zeigen, nach einem jahrzehntelangen, sukzessiven Abschleifungsprozess nur noch aus den stilisierten Überbleibseln einer Reihenfolge von Buchstaben, aus denen sich der Vor- und Nachname Rechtsanwalt M.s zusammensetzt. Gleichwohl weist der vom Berufungsgericht zutreffend als Abfolge aus Strichen, Punkten und Haken beschriebene Schriftzug starke individuelle Merkmale auf, die insbesondere wegen der ungewöhnlichen Kombination der Schriftzeichen keinen ernsthaften Zweifel daran aufkommen lassen, dass es sich um eine von ihrem Urheber zum Zwecke der Individualisierung und Legitimierung geleistete Unterschrift handelt.
Und noch weiter ins Detail gehend:
Anders als das Berufungsgericht meint, können die Schriftzeichen links von einem langen senkrechten Strich, mit dem der stilisierte Namenszug beginnt, ohne weiteres als Kürzel „i.V.“ identifiziert werden. Sie lassen unzweifelhaft ein kleines „i“, dann einen Punkt, sodann einen als „V“ zu deutenden Haken und schließlich wieder einen Punkt erkennen. Ihr Erscheinungsbild ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht „fast identisch“ mit den Zeichen rechts von jenem Strich. Dort finden sich zwar auch Punkte und Haken, die allerdings im unteren Bereich leicht gerundet sind und deshalb, anders als der Haken links des Strichs, nicht die spitz zulaufenden Konturen eines „V“ aufweisen. Ein „i“ enthält der den Namen des Unterzeichnenden betreffende Teil der Unterschrift überhaupt nicht.
Der Fall ging also retour zum Oberlandesgericht, das sich jetzt in der Sache mit dem Fall beschäftigen muß. Man wünscht sich angesichts dieser „schwerwiegenden“ Probleme gelegentlich eine beschleunigte Sachbehandlung und keine Erbsenzählerei.