Artikel 4 – Rechte und Pflichten der Vertragsparteien

Rechte und Pflichten von Auftragnehmer und Auftraggeber bei Behinderung und Unterbrechung der Leistungsausführung

Die VOL/B regelt im § 5 , wie mit Hilfe einer dem Auftragnehmer auferlegten Anzeigepflicht dieser von der grundsätzlichen Risikotragung und Haftung bei Behinderung seiner Tätigkeit befreit wird, obwohl die Ursachen für den nicht normalen Ablauf der Leistungsausführung überwiegend in seinem Verantwortungsbereich liegen. Durch diese, nach dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben im Rechtsverkehr entwickelte Regelung, soll das Vertragsverhältnis für beide Seiten partnerschaftlich betrachtet werden. Danach muß der Auftraggeber von der Behinderung der Leistungsausführung rechtzeitig Kenntnis erlangen, um darauf frühzeitig reagieren zu können. Zugunsten des Auftragnehmers werden die Ausführungsfristen in bestimmten Fällen verlängert.

Voraussetzung für die genannten Rechtsfolgen ist eine rechtzeitige schriftliche Anzeige von Behinderungen oder Unterbrechungen. Behinderungen sind alle Umstände, die den vorgesehenen Leistungsablauf hemmen oder verzögern. Es reicht schon aus, daß die Arbeiten in einem beachtlichen Maß langsamer als geplant vor sich gehen. Zum Stillstand der Arbeiten muß es nicht kommen. So können z. B. Lieferschwierigkeiten oder notwendige Reparaturen einzelner eingesetzter Geräte und Maschinen zu einer Ausführung der Leistung „nur mit halber Kraft“ führen. Zusätzliche Aufträge durch den Auftraggeber können auf seiten des Auftragnehmers zur Folge haben, daß die ursprüngliche Leistung zeitweise unterbrochen wird.

Wenn der Auftragnehmer sich daher in der ordnungsgemäßen Leistungsausführung behindert sieht, hat er dies dem Auftraggeber unverzüglich anzuzeigen. Eine solche Anzeige ist nur dann nicht notwendig, wenn die „Tatsachen und deren hindernde Wirkung offenkundig sind“. Damit ist jedoch sehr vorsichtig zu verfahren. Einerseits müssen die Tatsachen dem Auftraggeber „offenkundig“ sein. Dies bedeutet, daß er von den behindernden Umständen Kenntnis haben muß und es durch sein Verhalten, seine Äußerungen oder Anordnungen klar zum Ausdruck bringt. Das ist ebenfalls der Fall, wenn die Umstände auf der Hand liegen, aber ignoriert oder aus völliger eigener Nachlässigkeit durch den Auftraggeber nicht wahrgenommen werden.

Andererseits muß der Auftraggeber wissen, daß diese Umstände zu einer Behinderung der Leistungsausführung führen. Somit müssen die ihm bekannten Tatsachen und Vorgänge auch für ihn die Verzögerung oder Unterbrechung der vereinbarten Leistungsausführung deutlich werden lassen. Da jedoch dieser Nachweis sehr schwer geführt werden kann, sollte auf die erwähnte Anzeige nicht verzichtet werden.

Das Beispiel aus der Praxis:

Durch die öffentliche Hand wurde die umfangreiche Einrichtung einer Universitätsbibliothek ausgeschrieben. Danach sollten die Einrichtungsgegenstände nach Maß angefertigt werden, wobei die von der Vergabestelle vorgegebenen Pläne Grundlage der Erstellung sein sollten. An den Ausführungszeitraum war die Eröffnung der Bibliothek gebunden.

Durch Änderungen der Bauausführung bei der Errichtung des Bibliotheksgebäudes kam es zu abweichenden Zuschnitten der Lesesäle und angrenzenden Räume. Dies hatte zur Folge, daß die Planungsunterlagen und Fertigungszeichnungen für die Einrichtung vom Auftraggeber neu überarbeitet werden mußten. Der Auftragnehmer konnte jedoch nur auf Grundlage dieser, nunmehr geänderten Pläne, die von ihm angebotene Einrichtung herstellen. Die verzögerte Lieferung der Einrichtung beruhte damit auf der späten Planerstellung und Übergabe.

Nach einer Neuerstellung einer Vielzahl der Pläne versäumte es der Auftraggeber jedoch, einen einzelnen Plan für einen ebenfalls geänderten Raum anzupassen und zu übergeben.

Für den Auftraggeber war es bei der Änderung der Pläne für die gesamte Bibliothekseinrichtung aufgrund der geänderten Zuschnitte der Räume offenkundig, daß die nunmehr verspätete Lieferung derselben zu einer Behinderung der Ausführung der Leistung führen würde. Insoweit mußte der Auftragnehmer dies ihm gegenüber nicht anzeigen.

Dagegen war das Fehlen eines einzelnen Planes für den Auftraggeber nicht ohne weiteres offenkundig behindernd. Hier durfte sich der Auftragnehmer somit nicht darauf verlassen, daß die Behinderungswirkung für den Auftraggeber klar zutage trat. Um einen späteren Rechtsstreit zu vermeiden war es daher angeraten, die Behinderungsanzeige abzusenden.