Rechte des Auftragnehmers bei unverschuldeter Verzögerung der Leistungsausführung
Im letzten Teil der Serie wurde darauf hingewiesen, welche Pflichten sich für den Auftragnehmer ergeben, wenn die Leistungsausführung behindert wird und dies überwiegend in seinem Verantwortungsbereich liegt. Dagegen soll nunmehr dargestellt werden welche Rechte er hat, wenn die Behinderung ihm nicht zugerechnet wird.
Die Verzögerungen sind dem Auftragnehmer u. a. bei „höherer Gewalt“ nicht zuzurechnen. Sie ist gegeben, wenn ein von außen auf den Betrieb einwirkendes außergewöhnliches Ereignis stattfindet, welches unvorhersehbar ist und selbst bei Anwendung äußerster Sorgfalt ohne Gefährdung des wirtschaftlichen Erfolgs des Unternehmens nicht abgewendet werden kann. Beispielhaft sind z. B. Erdbeben, Blitzschlag, Brandstiftung oder Explosionen zu nennen.
Ebenfalls sind z. B. Streik und rechtlich zulässige Aussperrungen Gründe, die eine Unterbrechung rechtfertigen und nicht dem Auftragnehmer zuzurechnen sind. Dabei muß die Aussperrung jedoch nach Arbeitsrecht zulässig gewesen sein. Das gleiche gilt, wenn solche Behinderungen bei Unterauftragnehmern und Zulieferern auftreten und der Auftragnehmer, egal aus welchem Grund, gehindert ist, Ersatzbeschaffungen vorzunehmen.
Es sind zwei mögliche Folgen der Behinderung zu unterscheiden: Einerseits ist durch die Behinderung noch keine Unterbrechung der Leistungsausführung von länger als drei Monaten eingetreten. In diesen Fällen ist die Frist, wie sie sich aus dem Vertrag ergibt, „angemessen“ zu verlängern (§ 5 Absatz 2 Nr. 1 VOL/B). Eine angemessene Verlängerung ist dabei auf jeden Fall die Zeit der Unterbrechung. Um diese Zeit ist also die ursprüngliche Ausführungsfrist hinauszuschieben. Ein Verzug des Auftragnehmers mit seiner Leistung tritt somit bis zum Ablauf dieser neuen Ausführungsfrist nicht ein.
Andererseits kann bei einer Behinderung von länger als drei Monaten sowohl der Auftragnehmer als auch der Auftraggeber kündigen oder ganz bzw. teilweise vom Vertrag zurückzutreten. Es wird bei einer so langen Dauer der Unterbrechung davon ausgegangen, daß der herbeigeführte Zustand für die Parteien nicht länger hinzunehmen ist. Man muß bedenken, daß die Parteien trotz der Nichtausführbarkeit zu den gegenseitigen Leistungen noch verpflichtet sind. Der Auftragnehmer muß die vertraglich vereinbarte Leistung weiterhin erfüllen, der Auftraggeber eventuell die Möglichkeiten und Örtlichkeiten zur Verfügung stellen und die volle Vergütung zahlen. Diese Pflichten sind für die Zeit der Behinderung zwar aufgeschoben, die Parteien sind dieser jedoch nicht enthoben. Sie müssen sich von der Leistungspflicht also durch Kündigung oder Rücktritt befreien. Wenn eine Abgrenzung zwischen in sich geschlossenen Teilen der Leistung getroffen werden kann und die Hinderungsgründe nur auf einen Teil der Leistung bezogen sind, kann auch eine Teilkündigung oder ein Teilrücktritt in Betracht kommen. Die Erklärungen haben schriftlich zu erfolgen und müssen binnen 30 Tagen nach Ablauf der genannten Dreimonatsfrist dem Vertragspartner zugehen.
Das Beispiel aus der Praxis:
Durch ein Unternehmen sollten medizinische Geräte hergestellt und an ein kommunales Krankenhaus bis zum 15.03.2001 geliefert werden. Dabei waren mehrere verschiedene komplexe Diagnosegeräte, unter anderem ein Kernspintomograph und ein fest zu installierendes Röntgengerät zu liefern. Teile der Geräte des Kernspintomographen bezog das Unternehmen von Unterauftragnehmern, welche sich auf deren Herstellung spezialisiert hatten. Nun kam es bei einem der Unterauftragnehmer am 10.03.2001 zu einem Streik mit der Folge, daß dort die Produktion der benötigten Teile stillstand. Dieser Streik zog sich bis zum 10.04.2001 hin, in welcher Zeit der Unternehmer den Kernspintomographen nicht fertigstellen und liefern konnte. Ein Bezug der Teile bei einem anderen Unternehmen war nicht möglich, da nur die eine Firma sie herstellte. Ebenfalls brannte am 12.03.2001 durch einen Blitzschlag die Werkhalle ab, in welcher die Röntgengeräte beim Auftragnehmer hergestellt wurden. Deren Wiederaufbau zog sich bis zum 30.07.2001 hin, so daß er nicht in der Lage war, die Röntgengeräte rechtzeitig zu liefern. Diesen Teil des Vertrages kündigte er am 15.06.2001 schriftlich.
Eine Abtrennung einzelner vertraglicher Leistungen ist hier aufgrund der Abgeschlossenheit der einzelnen Teile, bezogen nur auf Kernspintomograph und Röntgengerät, möglich. Da die Lieferung des Kernspintomographen nicht länger als drei Monate verzögert war, konnte weder durch den Auftraggeber noch den Auftragnehmer gekündigt werden. Vielmehr durfte die Lieferung noch bis zum 15.04.2001 erfolgen ohne daß der Auftragnehmer in Verzug geriet. Den Teil des Vertrages, welcher das Röntgengerät betraf, kündigte er fristgemäß innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der drei Monate in der ordnungsgemäßen Form mit der Folge, daß er von der Verpflichtung zu dieser Leistung frei wurde.