Aufklärungspflicht bei Einsatz eines Medikaments vor erstem Einsatz

 
Ergeben sich beim Einsatz eines Medikaments für den Patienten andere Risiken als bei der bisherigen Medikation, ist der Patient bereits vor dessen erstem Einsatz entsprechend aufzuklären. Nur so wird das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in ausreichender Weise gewahrt.

Ist nicht auszuschließen, dass sich der Patient unter Berücksichtigung des zu behandelnden Leidens und der Risiken, über die aufzuklären war, aus vielleicht nicht gerade "vernünftigen", jedenfalls aber nachvollziehbaren Gründen für eine Ablehnung der Behandlung entschieden haben könnte, kommt ein echter Entscheidungskonflikt in Betracht. In einem solchen Fall darf der Tatrichter nicht alleine aufgrund der Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung (hier: wegen schwerer Hirnschäden) eine dem Patienten nachteilige Wertung vornehmen.

amtlicher Leitsatz:

a) Der Arzt hat den Patienten vor dem ersten Einsatz eines Medikaments, dessen Wirksamkeit in der konkreten Behandlungssituation zunächst erprobt werden soll, über dessen Risiken vollständig aufzuklären, damit der Patient entscheiden kann, ob er in die Erprobung überhaupt einwilligen oder ob er wegen der möglichen Nebenwirkungen darauf verzichten will.
b) Kann ein Patient zu der Frage, ob er bei zutreffender ärztlicher Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, nicht persönlich angehört werden (hier: wegen schwerer Hirnschäden), so hat das Gericht aufgrund einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob der Patient aus nachvollziehbaren Gründen in einen ernsthaften Entscheidungskonflikt geraten sein könnte.

BGH
Urteil vom 17. April 2007
VI ZR 108/06

 

Die vollständige Entscheidung können Sie auf den Seiten des Bundesgerichtshofs nachlesen. 

Recherchemöglichkeit für zuzahlungsfreie Arzneimittel

Auf ein Internetangebot für die Recherche von zuzahlungsfreien Arzneimitteln hat der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) hingewiesen. 9.902 verschreibungspflichtige Präparate seien in Deutschland mittlerweile ohne Zuzahlung erhältlich. Damit sich Ärzte und Patienten informieren können, ob ein bestimmtes Medikament zuzahlungsfrei ist, biete der Bundesverband eine Datenbank im Internet an.

Gerade bei häufig verschriebenen Arzneimitteln wie Cholesterinsenkern, Präparaten gegen Bluthochdruck oder Magenübersäuerung könnten Interessierte rasch prüfen, welche zuzahlungsbefreiten Mittel es gibt, hieß es aus dem Krankenkassenverband. Der Nutzer könne nach der Eingabe des Arzneimittelnamens sofort sehen, ob das eingegebene Medikament von der gesetzlichen Zuzahlung befreit ist oder nicht.

Ein weiterer Service: Falls ein Medikament nicht von der Zuzahlung befreit ist, es jedoch zuzahlungsfreie Medikamente mit identischer Wirkstoffzusammensetzung gibt, können die Nutzer diese Produkte mit Detailangaben ausdrucken. „Die Suchfunktion ersetzt aber keinesfalls die ärztliche Beratung. Sie kann jedoch den Versicherten helfen, sich über preiswerte Arzneimittel zu informieren und damit bares Geld zu sparen“, erklärte der BKK-Bundesverband. 

Quelle: http://www.aerzteblatt.de

Lorenzos Öl ist keine Kassenleistung

 
Das SG Dresden hat entschieden, dass die Krankenkasse die Behandlung einer fortschreitenden Nervenkrankheit mit "Lorenzos Öl" nicht bezahlen muss.

Der 50-jährige Kläger aus dem Landkreis Riesa-Großenhain leidet an der erblichen Nervenkrankheit "Adrenoleukodystrophie" (ALD). Der behandelnde Arzt verschrieb die Behandlung mit Lorenzos Öl. Dieses Ölsäuregemisch erlangte eine gewisse Bekanntheit durch den gleichnamigen Hollywood-Film von 1992. Die AOK lehnte die Übernahme der Kosten in Höhe von monatlich etwa 1.000 Euro ab.

Das SG Dresden hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. 

Nach Ansicht des Gerichts ist Lorenzos Öl weder in Deutschland noch in der EU als Arzneimittel zugelassen. Es sei aber ein zulassungspflichtiges Arzneimittel. Denn es werde nicht als Ersatz für Speiseöl zur Ernährung verschrieben, sondern als Medikament seiner biochemischen Wirkung wegen.

Es spiele keine Rolle, dass das Öl in Deutschland als Diätlebensmittel vertrieben wird. Die für Arzneimittel geltenden Schutzvorschriften dürften nicht umgangen werden. Der Hersteller habe dafür zu sorgen, dass die Wirksamkeit eines Arzneimittels in klinischen Studien nachgewiesen wird. Dann könne es zugelassen werden. Diesen Aufwand könne er sich nicht ersparen, indem er das Medikament wie ein Lebensmittel aufmacht und die Krankenkassen für die Erprobung am Patienten zahlen lässt.

SG Dresden
Urteil vom 08.03.2007
Az.: S 18 KR 637/04

 

Quelle: Pressemitteilung des SG Dresden vom 19. April 2007

 

Kassen müssen Spezialöl für seltene Erbkrankheit bezahlen

Das Hessische LSG hat die Krankenkassen verpflichtet, die Kosten einer Behandlung mit dem sog. Lorenzo's Öl zu erstatten, wenn es zur Behandlung der erblichen Stoffwechselerkrankung Adrenomyeloneuropathie (AMN) eingesetzt wird.

Das Spezialöl gilt als einzige Therapiemöglichkeit für diese seltene Erbkrankheit. Die AMN ist eine seltene, ausschließlich bei Männern auftretende Erbkrankheit, bei der der Fettstoffwechsel gestört ist. Die unheilbare Krankheit führt zu Schädigungen der Blasen-, Darm und Nierenfunktion, des Rückenmarks und des zentralen Nervensystems. Die Behandlung erfolgt durch eine fettreduzierte Diät und durch die Gabe von Lorenzo's Öl, das die Konzentration überlangkettiger Fettsäuren und damit Nervenschäden vermeiden hilft. Im Fall eines seit seinem 17. Lebensjahr an AMN leidenden und an den Rollstuhl gefesselten Patienten hatte die Krankenkasse die Kostenübernahme für Lorenzo's Öl mit dem Argument abgelehnt, es handele sich um kein zugelassenes Arzneimittel. Die Einnahme des Spezialöls sei zwar medizinisch sinnvoll, da es aber weder apothekenpflichtig sei noch unter die Ausnahmeregelungen der Arzneimittelrichtlinien falle, könne die Kasse die Kosten nicht übernehmen.

Das Hessische LSG gab entgegen dem erstinstanzlichen Urteil dem Kranken recht.

Nach Ansicht des Landessozialgerichts ist es für die Kostenübernahme unerheblich, dass das Spezialöl kein Medikament ist. Vielmehr ließen die Arzneimittelrichtlinien seit Oktober 2005 auch die Freistellung von Kosten einer Behandlung zu, wenn es sich um diätetische Lebensmittel handelt. Lorenzo's Öl sei als solches zu betrachten. Die Kasse müsse daher ab Oktober 2005 die Kosten für das Spezialöl übernehmen. Der AMN-Patient bezifferte diese auf etwa 700 Euro monatlich.

Der Name für das Spezialöl, der auch Titel eines Hollywoodfilmes war, rührt von einem italienischstämmigen Amerikaner, dessen Sohn Lorenzo an der seltenen Erbkrankheit litt und für den es keine Therapiemöglichkeiten gab. Die Eltern experimentierten so lange mit verschiedenen Oliven- und Rapsölen, bis das heute als Lorenzo's Öl bekannte Spezialöl entdeckt war. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Glycerol-Trioleat (GTO) und Glycerol-Trieruct (GTE) im Verhältnis 1:4.

Hessisches LSG
Urteil vom 25.01.2007
Az.: L 8 KR 18/05

Pressemitteilung des Hessischen LSG vom 30. Januar 2007