Auf Privatanwesen abgestelltes Kfz nicht „in Betrieb“

Ein auf einem Privatparkplatz abgestelltes Fahrzeug ist nicht mehr "im Betrieb" i.S. der §§ 7, 18 StVG. Eine Haftung besteht weder nach diesen Vorschriften noch nach allgemeinen Deliktsrecht, wenn eine an einem Haus angebrachte, automatisch gesteuerte Sonnenmarkise wetterbedingt ausfährt, auf den Alkoven eines auf einem Privatgelände geparkten Wohnmobils auftrifft und dadurch Schaden erleidet.

OLG Karlsruhe
Urteil vom 29. Juni 2005
Az: 1 U 247/04


Zum Sachverhalt:

Der Kl., Eigentümer eines Anwesens, verlangt Schadensersatz wegen der Beschädigung einer an seinem Haus angebrachten Markise. Der Bekl. zu 1 stellte am Abend des 1. 9. 2003 ein – von der Zweitbekl. angemietetes – Wohnmobil auf einem Privatparkplatz vor dem Haus des Kl.ab. Er hatte zuvor den Pächter der Erdgeschossräume, den Zeugen S, der dort eine Kunstgalerie betreibt, telefonisch um Erlaubnis gefragt und diese erhalten. Am nächsten Morgen fuhr die über dem Schaufenster der Galerieräume montierte Markise auf Grund der Sonneneinstrahlung automatisch aus und traf auf den Alkoven des geparkten Wohnmobils. Während dieses keine Schäden erlitt, wurde die Markise erheblich beschädigt.

Im ersten Rechtszug wurde die Klage gegen den erstbekl. Fahrer, die zweitbekl. Halterin und den drittbekl. Haftpflichtversicherer des Wohnmobils gerichtet. Das LG hat der Klage gegen den Bekl. zu 1 stattgegeben. Ansprüche gegen die Bekl. zu 2 und 3 seien nicht gegeben, da die Beschädigung nicht beim Betrieb eines Fahrzeugs erfolgt sei. Die Berufung des Bekl. zu 1 hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

1. Der Kl. hat gegen den Bekl. zu 1 keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB. Den Bekl. zu 1 trifft kein Verschulden an der Beschädigung der Markise.
a) Nach § 276 BGB hat derjenige für einen verursachten Schaden einzustehen, der entweder vorsätzlich oder fahrlässig handelte. Ein vorsätzliches Verhalten des Bekl. zu 1 scheidet von vornherein aus. Dem Bekl. zu 1 ist aber auch kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen. Fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dabei gilt im Zivilrecht kein individueller, sondern ein auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichteter objektiver Sorgfaltsmaßstab (vgl. BGH, NJW 2000, 2812). Maßstab für das Verschulden ist, welche Sorgfalt von einem Handelnden in der Lage des Bekl. zu 1 erwartet werden konnte. Welches Verhalten im Konkreten verlangt werden kann, bestimmt sich nach dem Maß von Umsicht und Sorgfalt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des in Betracht kommenden Verkehrskreises, hier also eines ein Wohnmobil auf einem Privatparkplatz abstellenden Fahrers, zu fordern ist (vgl. BGH, NJW 1972, 151).
b) Der Bekl. zu 1 hat vor dem Abstellen seines Wohnmobils den nutzungsberechtigten Zeugen S um Erlaubnis gefragt. Dieser Zeuge, der einen Teil der Kosten der Markise bei deren Erstmontage im Jahr 2002 getragen hatte, hat dem Bekl. zu 1 das Parken ausdrücklich gestattet. Er hat keinen Hinweis auf die ihm bekannte wetterbedingte Ausfahrautomatik der Markise und eine daraus folgende Kollisionsgefahr erteilt. Am Haus befand sich auch kein Warnhinweis auf die sich selbst bewegende Markise. Ohne eine solche Warnung braucht im Allgemeinen niemand damit zu rechnen,dass der Ausfahrvorgang automatisch erfolgt und deshalb bei dem Parken vor dem Haus ein größerer Abstand zu wahren ist. Automatisch sich nach der Wetterlage regulierende Sonnenschutzeinrichtungen sind nicht so weit verbreitet, dass von jedermann verlangt werden könnte, mit deren Vorhandensein zu rechnen.
c) Entgegen der Ansicht des Kl. musste der Bekl. zu 1 auch nicht auf Grund seiner Mieterstellung im kl. Haus wissen, dass die Markise automatisch ein- und ausfuhr. Ihn trifft keine Beobachtungspflicht hinsichtlich der vom Zeugen S betriebenen Galerie. Er musste daher auch nicht bemerken, auf welche Weise die Markise bewegt wurde. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es für einen Außenstehenden, wie den Bekl. zu 1, nicht erkennbar ist, ob die Markise beim Ausfahren sich selbst bewegt oder ob möglicherweise jemand im Innern diesen Vorgang mittels eines Schalters steuert.
2. Ein Schadensersatzanspruch gegen den Bekl. zu 1 besteht auch nicht nach § 18 StVG. Eine Einstandspflicht scheitert – ungeachtet der Verschuldensfrage – schon daran, dass der Schaden, wie das LG mit zutreffender Begründung der – inzwischen rechtskräftigen – Abweisung der gegen die zweitbekl. Halterin und den drittbekl. Pflichtversicherer gerichteten Ansprüche aus § 7 StVG, § 3 PflVG ausgeführt hat, nicht beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs eingetreten ist. Allerdings ist das Haftungsmerkmal �bei dem Betrieb� entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 I StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist (vgl. BGHZ 105, 65 [66] = NJW 1988, 3019; BGHZ 107, 359 [366] = NJW 1989, 2616; BGHZ 115, 84 [86] = NJW 1991, 2568; BGH, NVwZ-RR 2005, 381 = VersR 2005, 566 [567]). Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden. An diesem erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (BGH, NJW 2005, 2081 m.w. Nachw.).
Ansprüche nach dem Straßenverkehrsgesetz sind nur dann gegeben, wenn sich bei dem Schaden die spezifischen Gefahren des Kraftfahrzeugverkehrs ausgewirkt haben (vgl. dazu Wussow/Baur, UnfallhaftpflichtR, 15. Aufl., Kap. 17 Tz. 6 m.w. Nachw.; vgl. auch BGH, NJW 2005, 2081m.w. Nachw.). Zwar kann ein sich im Verkehrsraum befindendes Kraftfahrzeug (oder ein Anhänger) noch dem Schutzbereich des § 7 StVG unterfallen. So gelten beispielsweise ordnungswidrig im Verkehrsraum abgestellte Fahrzeuge (z.B. unerlaubt in der zweiten Reihe oder auf der falschen Seite haltend oder in eine Fahrbahn hineinragend) als �im Betrieb� (vgl. Hentschel, StraßenverkehrsR, 37. Aufl., § 7 StVG Rdnr. 5 m.w. Nachw.; OLG Karlsruhe, NZV 1990,189). Mit dem verkehrsmäßig ordnungsgemäßen Abstellen eines Kraftfahrzeugs auf einem Privatgrundstück endet jedoch der Betrieb (vgl. Geigel/Kunschert, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., Rdnr. 56 m.w. Nachw.). Der Erstbekl. hat das Wohnmobil am späten Abend des 1. 9. 2003 von der öffentlichen Straße entfernt und vollständig auf dem Privatgrundstück des Kl. abgestellt. Als in den Morgenstunden des 2. 9. die Markise ausfuhr, parkte das Fahrzeug dort noch immer bei abgestelltem Motor.